Von der Macht der Musik
Marek Janowski dirigiert das Staatsorchester Stuttgart in Anton Bruckners Fünfter Sinfonie in der Liederhalle
Stuttgart – Marek Janowski betritt die Bühne des Beethovensaals mit deutlicher Haltung: Jetzt sind Arbeit und Konzentration auf die Sache angesagt. 77 Jahre alt ist er, aber nach wie ein gefragter Dirigent: So wird er wie schon in diesem Jahr auch 2017 den „Ring“-Zyklus in Bayreuth leiten. Jetzt dirigierte Janowski das Staatsorchester Stuttgart, das seine Sinfoniekonzert-Saison in der Liederhalle mit Anton Bruckners Fünfter Sinfonie eröffnete. Ein abendfüllendes Werk, von dem der Komponist selbst sagte, es sei ein „kontrapunktisches Meisterstück“, was er aufs fugierte Finale bezog, dessen Dimensionen wahrhaft riesenhaft sind. Um die gigantische Spannungskurve des gut 80-minütigen Werks – vom großen Klangportal des Anfangs bis zu den dichten, rasenden, orgiastischen Steigerungswellen des Finales – aufzubauen, ist ein Dirigent mit sehr viel Erfahrung gefragt. Janowski kann zudem auf seine hoch dekorierte Gesamteinspielung der neun Bruckner-Sinfonien verweisen, die er vor ein paar Jahren mit dem Orchestre de la Suisse Romande eingespielt hat, dessen Chefdirigent er 2005 bis 2012 war. Er hat die Partitur der Fünften im Kopf, seine Gestik ist sparsam, sachlich, aber seine Ohren gespannt wie die eines Luchses. Er weiß sehr genau, was er will. Und das ist zunächst einmal absolute Transparenz.
Klanglich und damit räumlich so vorbildlich hochaufgelöst hört man Bruckner selten. Janowski verfolgt nicht die Überwältigungsstrategie vieler Kollegen, die auf hohen Lautstärkenpegel und Klangmassierung setzen. Kein einziges Mal an diesem Sonntagmorgen artikuliert sich das gut 80-köpfige Orchester zu laut. Nichts wird verdeckt durch anderes: Themen und Motive, die durch alle Orchestergruppen wandern, bleiben scharf konturiert, die harmonischen und rhythmischen Metamorphosen, die das Material durchlebt, werden so deutlich hörbar. Die Bruckner’schen Steigerungswellen werden minuziös aufgebaut, bis die sauber und klar artikulierenden Blechbläser dem Ganzen die Schaumkrone aufsetzen. Nur einer wie Janowski, der so fein mit Lautstärken changieren kann, ist in der Lage, in einer Bruckner-Sinfonie solch intime Augenblicke wie im Adagio-Satz zu evozieren und die Bruckner’sche Stille als rhetorisch zwingend erspielen zu lassen. Hier stimmt alles. Janowski mit seinem perfekten Gespür für die Proportionen dieses mächtigen Werkes setzt das Orchester nicht unter Druck, sondern lässt es bei aller harten Arbeit auch atmen. Und das Staatsorchester musiziert mit Hingabe und Konzentration: die Streicher mal als Arbeitsbienen des pulsierenden Klangkörpers, mal schwelgend in satt-farbigen Kantilenen, die fein zeichnenden Blechbläserchoristen, die intensiv und ausdrucksstark intonierenden Holzbläsersolisten.
Solche vorbildliche Interpretation ist Voraussetzung für den zwingenden Hörsog eines so langen Werkes: Das gebannte Publikum tauchte ein, erwachte am Ende aus einem großen Traum und hatte alles durchlebt: Die polarisierenden Extreme des Kopfsatzes mit seinem Aufbäumen und Zusammenstürzen, die zärtlich-intimen und euphorischen Momente des Adagios, das böse-bissige Scherzo und das verzweifelte, von rauschender Übertreibung gezeichnete Finale. Besser kann eine Saison nicht beginnen.
Rezension für die Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten vom 11.10 2016.
Stuttgart – Marek Janowski betritt die Bühne des Beethovensaals mit deutlicher Haltung: Jetzt sind Arbeit und Konzentration auf die Sache angesagt. 77 Jahre alt ist er, aber nach wie ein gefragter Dirigent: So wird er wie schon in diesem Jahr auch 2017 den „Ring“-Zyklus in Bayreuth leiten. Jetzt dirigierte Janowski das Staatsorchester Stuttgart, das seine Sinfoniekonzert-Saison in der Liederhalle mit Anton Bruckners Fünfter Sinfonie eröffnete. Ein abendfüllendes Werk, von dem der Komponist selbst sagte, es sei ein „kontrapunktisches Meisterstück“, was er aufs fugierte Finale bezog, dessen Dimensionen wahrhaft riesenhaft sind. Um die gigantische Spannungskurve des gut 80-minütigen Werks – vom großen Klangportal des Anfangs bis zu den dichten, rasenden, orgiastischen Steigerungswellen des Finales – aufzubauen, ist ein Dirigent mit sehr viel Erfahrung gefragt. Janowski kann zudem auf seine hoch dekorierte Gesamteinspielung der neun Bruckner-Sinfonien verweisen, die er vor ein paar Jahren mit dem Orchestre de la Suisse Romande eingespielt hat, dessen Chefdirigent er 2005 bis 2012 war. Er hat die Partitur der Fünften im Kopf, seine Gestik ist sparsam, sachlich, aber seine Ohren gespannt wie die eines Luchses. Er weiß sehr genau, was er will. Und das ist zunächst einmal absolute Transparenz.
Klanglich und damit räumlich so vorbildlich hochaufgelöst hört man Bruckner selten. Janowski verfolgt nicht die Überwältigungsstrategie vieler Kollegen, die auf hohen Lautstärkenpegel und Klangmassierung setzen. Kein einziges Mal an diesem Sonntagmorgen artikuliert sich das gut 80-köpfige Orchester zu laut. Nichts wird verdeckt durch anderes: Themen und Motive, die durch alle Orchestergruppen wandern, bleiben scharf konturiert, die harmonischen und rhythmischen Metamorphosen, die das Material durchlebt, werden so deutlich hörbar. Die Bruckner’schen Steigerungswellen werden minuziös aufgebaut, bis die sauber und klar artikulierenden Blechbläser dem Ganzen die Schaumkrone aufsetzen. Nur einer wie Janowski, der so fein mit Lautstärken changieren kann, ist in der Lage, in einer Bruckner-Sinfonie solch intime Augenblicke wie im Adagio-Satz zu evozieren und die Bruckner’sche Stille als rhetorisch zwingend erspielen zu lassen. Hier stimmt alles. Janowski mit seinem perfekten Gespür für die Proportionen dieses mächtigen Werkes setzt das Orchester nicht unter Druck, sondern lässt es bei aller harten Arbeit auch atmen. Und das Staatsorchester musiziert mit Hingabe und Konzentration: die Streicher mal als Arbeitsbienen des pulsierenden Klangkörpers, mal schwelgend in satt-farbigen Kantilenen, die fein zeichnenden Blechbläserchoristen, die intensiv und ausdrucksstark intonierenden Holzbläsersolisten.
Solche vorbildliche Interpretation ist Voraussetzung für den zwingenden Hörsog eines so langen Werkes: Das gebannte Publikum tauchte ein, erwachte am Ende aus einem großen Traum und hatte alles durchlebt: Die polarisierenden Extreme des Kopfsatzes mit seinem Aufbäumen und Zusammenstürzen, die zärtlich-intimen und euphorischen Momente des Adagios, das böse-bissige Scherzo und das verzweifelte, von rauschender Übertreibung gezeichnete Finale. Besser kann eine Saison nicht beginnen.
Rezension für die Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten vom 11.10 2016.
eduarda - 11. Okt, 12:46