An der Grenze des Möglichen
Tokyo String Quartet im Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle
Stuttgart - Das überholte Ideal eines vollen, expressiv vibrierenden, nebengeräuscharmen Streichquartett-Tones bekamen die Zuhörer im sehr gut besuchten Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle am Mittwochabend nicht zu hören – obwohl das Tokyo String Quartet bereits 1969 gegründet wurde und geschlossen auf Stradivari-Instrumenten spielt. Ein Gründungsmitglied, Kazuhide Isomura, ist heute noch mit dabei: am Pult der Bratsche. Die anderen Positionen haben gewechselt. Martin Beaver spielt seit 2002 die erste Geige, Kikuei Ikeda seit 1974 die zweite und Clive Greensmith seit 2000 das Cello.
Das Quartett pflegt einen modernen, individuellen, fein differenzierenden Sound, der sofort aufhorchen lässt: Die vier suchen nach Farben, hören sehr genau aufeinander. Man geht an die Grenzen des Möglichen – zuweilen hart, geräuschhaft und risikofreudig in Sachen Intonation. Gerne bewegen sich die Bögen nahe am Steg oder am Griffbrett, weswegen fahle Farben dominieren. Ein Klang, den man unter vielen Quartetten schnell heraushört. Nicht allen Kompositionen tut er aber gut.
Das Es-Dur-Quartett D 87 des erst 16-jährigen Schubert gewinnt an emotionaler Tiefe: Über seinen jugendlich frischen, klassisch hellen Geist fällt ein dunkler Schatten. Die bleichen Farben, die die Musiker wählen, die zarte Melancholie, die jeden freundlichen Gedanken verdüstert, hauchen dem Werk eine gewisse vorauseilende Todessehnsucht ein.
Samuel Barbers h-Moll-Quartett op. 11 berührt am unmittelbarsten. Der berühmte Trauergesang des Adagios, der sooft bebildert wurde oder Bildern unterlegt wurde, entfaltet an diesem Abend ganz ohne Sentimentalität seine betörende Schönheit und seinen erhabenen Ernst.
In Beethovens Quartett op. 127 aber, mit seiner für das Spätwerk so typischen Polarisierung der Charaktere, wirken die emotionalen Ausbrüche gedämmt, die Konturen verhuscht, der Gestus schwebend, eher unverbindlich. Allein der Scherzo-Satz überzeugt in seiner geisterhaften Kahlheit. In diesem Fall hätte eine wenig Saft der alten Schule ganz gut getan.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten vom 3.12.2010. Das Konzert fand statt am 1.12.
Stuttgart - Das überholte Ideal eines vollen, expressiv vibrierenden, nebengeräuscharmen Streichquartett-Tones bekamen die Zuhörer im sehr gut besuchten Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle am Mittwochabend nicht zu hören – obwohl das Tokyo String Quartet bereits 1969 gegründet wurde und geschlossen auf Stradivari-Instrumenten spielt. Ein Gründungsmitglied, Kazuhide Isomura, ist heute noch mit dabei: am Pult der Bratsche. Die anderen Positionen haben gewechselt. Martin Beaver spielt seit 2002 die erste Geige, Kikuei Ikeda seit 1974 die zweite und Clive Greensmith seit 2000 das Cello.
Das Quartett pflegt einen modernen, individuellen, fein differenzierenden Sound, der sofort aufhorchen lässt: Die vier suchen nach Farben, hören sehr genau aufeinander. Man geht an die Grenzen des Möglichen – zuweilen hart, geräuschhaft und risikofreudig in Sachen Intonation. Gerne bewegen sich die Bögen nahe am Steg oder am Griffbrett, weswegen fahle Farben dominieren. Ein Klang, den man unter vielen Quartetten schnell heraushört. Nicht allen Kompositionen tut er aber gut.
Das Es-Dur-Quartett D 87 des erst 16-jährigen Schubert gewinnt an emotionaler Tiefe: Über seinen jugendlich frischen, klassisch hellen Geist fällt ein dunkler Schatten. Die bleichen Farben, die die Musiker wählen, die zarte Melancholie, die jeden freundlichen Gedanken verdüstert, hauchen dem Werk eine gewisse vorauseilende Todessehnsucht ein.
Samuel Barbers h-Moll-Quartett op. 11 berührt am unmittelbarsten. Der berühmte Trauergesang des Adagios, der sooft bebildert wurde oder Bildern unterlegt wurde, entfaltet an diesem Abend ganz ohne Sentimentalität seine betörende Schönheit und seinen erhabenen Ernst.
In Beethovens Quartett op. 127 aber, mit seiner für das Spätwerk so typischen Polarisierung der Charaktere, wirken die emotionalen Ausbrüche gedämmt, die Konturen verhuscht, der Gestus schwebend, eher unverbindlich. Allein der Scherzo-Satz überzeugt in seiner geisterhaften Kahlheit. In diesem Fall hätte eine wenig Saft der alten Schule ganz gut getan.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten vom 3.12.2010. Das Konzert fand statt am 1.12.
eduarda - 3. Dez, 17:11