Harmonie und Präzision
Gidon Kremer und seine Kremerata Baltica im Beethovensaal
Stuttgart - Am Ende des Konzerts schüttelte Gidon Kremer allen 22 Mitstreitern der Kremerata Baltica zum Dank strahlend die Hand. Zu Recht: Das Streichorchester mit jungen baltischen Musikern, das Kremer 1997 selbst gegründet hat, präsentierte sich an diesem Abend im gut besuchten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle als richtig guter Klangkörper. Hoch differenziert im Ausdruck, perfekt aufeinander hörend, homogen im Zusammenspiel verzauberte die Kremerata gleich zu Beginn mit der Ouvertüre zu Richard Strauss‘ Oper „Capriccio“ die Ohren - das Ensemble spielte ohne Dirigenten, versteht sich.
Ausgewogene Klangbalance und Transparenz herrschten auch in Robert Schumanns spätem Cello-Concert vor, das an diesem Abend in einer Bearbeitung des französischen Komponisten René Koering für Violine und Streichorchester erklang. Der Geiger Gidon Kremer mag Experimente. Das Werk lässt dem Soloinstrument zwar auch im Original viele Freiheiten, doch unter Kremers nachdenklichem und melancholischem Zugriff geriet es dann doch zu rhapsodisch. Man vermisste weniger die dunkle Fülle des Cellotones als das für Schumann so typische euphorische sinfonische Aufblühen. Kremer gab seinem Orchester wenig Impulse nach vorne, sein Blick ruhte durchgehend introvertiert auf den Noten, Tempi wurden verschleppt. Hier fehlte einfach ein Dirigent, der die Tempi strafft, die Spannungskurve im Blick behält und so einen Klangsog entwickelt.
Schumann liegt Kremer aber vielleicht auch gar nicht. In „The Art of Instrumentation“, einer Suite aus zehn Bearbeitungen von berühmten Stücken Johann Sebastian Bachs, die Gidon Kremer 2010 als „Hommage an Glenn Gould“ bei verschiedenen Komponisten in Auftrag gegeben hatte und uraufgeführt hat, fühlte sich der lettische Geige sichtlich wohler. Orchester und Solist schienen sich jetzt blind zu verstehen. Die Kremerata Baltica offenbarte hier ihr hervorragendes kammermusikalisches Potenzial - ob hauchzarte Farben oder krasse Kontrapunktik, ob süffig-satter Schönklang wie in Carl Vines Bearbeitung des Largos aus dem Klavierkonzert BWV 1056 oder Bizarrerien wie in Stevan Kovac Tickmayers „Nach Gould-Variationen mit Schönberg im Hintergrund“.
Jetzt fanden Gidon Kremer und sein Ensemble zu jenem intimen Musizieren, welches das Publikum in atemlos-kontemplative Stimmung versetzt. Besonders schön: Victor Kissines Version der Aria aus den Goldberg-Variationen, in welcher immer wieder die Original-Version für Klavier per Tonband eingeblendet wird und sich mit dem Streicherklang mischt.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 1.2.2011. Das Konzert fand statt am 28.1.
Stuttgart - Am Ende des Konzerts schüttelte Gidon Kremer allen 22 Mitstreitern der Kremerata Baltica zum Dank strahlend die Hand. Zu Recht: Das Streichorchester mit jungen baltischen Musikern, das Kremer 1997 selbst gegründet hat, präsentierte sich an diesem Abend im gut besuchten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle als richtig guter Klangkörper. Hoch differenziert im Ausdruck, perfekt aufeinander hörend, homogen im Zusammenspiel verzauberte die Kremerata gleich zu Beginn mit der Ouvertüre zu Richard Strauss‘ Oper „Capriccio“ die Ohren - das Ensemble spielte ohne Dirigenten, versteht sich.
Ausgewogene Klangbalance und Transparenz herrschten auch in Robert Schumanns spätem Cello-Concert vor, das an diesem Abend in einer Bearbeitung des französischen Komponisten René Koering für Violine und Streichorchester erklang. Der Geiger Gidon Kremer mag Experimente. Das Werk lässt dem Soloinstrument zwar auch im Original viele Freiheiten, doch unter Kremers nachdenklichem und melancholischem Zugriff geriet es dann doch zu rhapsodisch. Man vermisste weniger die dunkle Fülle des Cellotones als das für Schumann so typische euphorische sinfonische Aufblühen. Kremer gab seinem Orchester wenig Impulse nach vorne, sein Blick ruhte durchgehend introvertiert auf den Noten, Tempi wurden verschleppt. Hier fehlte einfach ein Dirigent, der die Tempi strafft, die Spannungskurve im Blick behält und so einen Klangsog entwickelt.
Schumann liegt Kremer aber vielleicht auch gar nicht. In „The Art of Instrumentation“, einer Suite aus zehn Bearbeitungen von berühmten Stücken Johann Sebastian Bachs, die Gidon Kremer 2010 als „Hommage an Glenn Gould“ bei verschiedenen Komponisten in Auftrag gegeben hatte und uraufgeführt hat, fühlte sich der lettische Geige sichtlich wohler. Orchester und Solist schienen sich jetzt blind zu verstehen. Die Kremerata Baltica offenbarte hier ihr hervorragendes kammermusikalisches Potenzial - ob hauchzarte Farben oder krasse Kontrapunktik, ob süffig-satter Schönklang wie in Carl Vines Bearbeitung des Largos aus dem Klavierkonzert BWV 1056 oder Bizarrerien wie in Stevan Kovac Tickmayers „Nach Gould-Variationen mit Schönberg im Hintergrund“.
Jetzt fanden Gidon Kremer und sein Ensemble zu jenem intimen Musizieren, welches das Publikum in atemlos-kontemplative Stimmung versetzt. Besonders schön: Victor Kissines Version der Aria aus den Goldberg-Variationen, in welcher immer wieder die Original-Version für Klavier per Tonband eingeblendet wird und sich mit dem Streicherklang mischt.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 1.2.2011. Das Konzert fand statt am 28.1.
eduarda - 1. Feb, 21:31