Skandal im Savoy
Hindemiths vergnügliche Oper „Neues vom Tage“ im Cannstatter Wilhelmatheater
Stuttgart - Ein handfester Ehekrach, der mit einem blindgängerischen Pistolenschuss endet, ein „Büro für Familienangelegenheiten“, das den Verkrachten den für die amtliche Scheidung dringend notwendigen Grund in Gestalt eines die Ehefrau verführenden Gigolos liefert, Wagners „Tristan“ zitierende, ansonsten aber neutönerische Liebesduette, eine Badewannen-Arie über die Vorzüge der Warmwasserversorgung in höchsten Koloraturen - das sind einige der Koordinaten, in denen sich Paul Hindemiths lustige Oper „Neues vom Tage“ bewegt. Das 1929 in Berlin uraufgeführte Opus geht derzeit in einer Produktion der Stuttgarter Opernschule im Wilhelmatheater über die Bühne.
Knallharte Parodie
Entstanden in Zeiten, da der Komponist Hindemith noch als junger, antibürgerlicher Wilder mit unterhaltsam-anarchischen Stücken die Musikszene aufmischte, steht das Werk ganz im Zeichen des Neoklassizismus und der Abwendung vom Pathos der Spätromantik. „Neues vom Tage“ ist eine knallharte Opernparodie, voller Lust an satirischer Zuspitzung, immer darauf bedacht, bürgerliche Werte ebenso wie die musikalische Tradition auf die Schippe zu nehmen. Dass dieses Stück wie so vieles aus dem umfangreichen Oeuvre Hindemiths, der von den Nazis als „atonaler Geräuschemacher“ diffamiert, verboten und aus dem Land gejagt wurde, heute kaum mehr aufgeführt wird, ist schwer verständlich. Entwickelte Hindemith doch eine sehr eigenständige, vitale, die Unterhaltungsmusik nicht ausgrenzende Klangsprache, die aber offenbar vielen Ohren noch immer zu unbequem ist.
Umso erfreulicher die Neuinszenierung im Wilhelmatheater. Einfach ist die vielstimmige, pralle Partitur allerdings nicht umzusetzen, gerade angesichts der vielen noch studierenden Beteiligten. Zunächst musste das Team um den musikalischen Leiter Michael Klubertanz den Orchesterpart erstmal auf den winzigen Graben des Wilhelmatheaters zuschneiden, das heißt die 70 Instrumente auf 21 reduzieren. Ob die Bearbeitung schuld daran war, dass die musikalische Spannung sich über 90 Minuten nicht wirklich halten konnte, oder ob die trockene Akustik die Farbigkeit der wild-polyphonen Partitur zu sehr dämpfte, sei dahingestellt. Jedenfalls motivierte Klubertanz das Orchester aus Studierenden der Musikhochschule mehr zu einer herben, rauen, hässlichen Klanglichkeit, als dass er die vielen besonderen Schönheiten herausgearbeitet hätte: etwa die Bläserkantilenen, die sich immer wieder aus der pulsierenden Rhythmik, aus Klaviergewusel, Trompetenschmettern und Trommelschnarren lösen und miteinander kommunizieren. Es fehlte an geschmeidiger Dynamik, genauer Artikulation und absoluter Transparenz.
Langweilig war der Abend jedoch nicht. Regisseur Bernd Schmitt gelang es zwar nicht ganz, die spöttisch aufs Korn genommene Eheproblematik für die heutige Zeit nachvollziehbar zu machen - so jung heiraten eben nur noch wenige. Aber ansonsten wirkte die Oper keineswegs antiquiert, zumal Schmitt ihr Finale, in dem das streitsüchtige Ehepaar seine skandalumwitterte Geschichte im Varieté und Film vermarkten lässt und vor einem riesigen Publikum über die privatesten Dinge schwätzt, auf entsprechende TV-Formate übertrug. Das spartanische Bühnenbild von Annette Wolf, die auch die heutigen Kostüme entwarf, baute sich gemäß der schnellen Taktung der Oper wie von selbst um: Eine Ikea-Regalwand im ehelichen Wohnzimmer verwandelte sich flugs in einen behördlichen Schalterraum, eine einsame Badewanne markierte das Zimmer im „Savoy“-Hotel, in das sich die Ehegattin geflüchtet hat.
Unter den neun Solisten und Solistinnen der Opernschule überzeugte in der Premiere vor allem die Sopranistin Isabella Froncala, die die amtlich zum Ehebruch gezwungene Gattin mit stimmlichem Furor und der Fähigkeit, ihrer Höhe mal hysterische Schärfe, mal entspannte Schönheit zu verleihen, gestaltete, aber auch durch starke Bühnenpräsenz beeindruckte. Nicht stimmlich, aber darstellerisch wirkte Bariton Jongwook Jeon als ihr Ehemann dagegen etwas blass, weil zu wenig aggressiv, während Mezzo Maria Pizzuto und Tenor Hansoul Moon als Nachbarehepaar, das den beiden zuweilen einen Spiegel vorhält, insgesamt professionell agierten. Der junge Tenor Dennis Marr als „schöner Herr Herrmann“ musste sich im Laufe des Abends freilich erst warm singen und wirkte weniger wie ein draufgängerischer Gigolo sondern wie ein etwas schüchterner Callboy.
Besondere Sorgfalt hatte Schmitt den Nebenrollen gewidmet: Witzig die Herrn Hermann umgarnenden drei Grazien Karline Cirule, Jasmin Hofmann und Jeanne Seguin, ebenso der komödiantisch sehr präzise Julian Popken, der als Museumsführer für Lacher sorgte: Herrlich knochentrocken etwa sein „Betrachten Sie die fehlenden Arme“ beim Anblick der antiken Venus-Statue, die im Wilhelmtheater freilich nur aus einem goldenen Frauenbein besteht.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung und die Stuttgarter Zeitung vom 9. bzw. 11.2. 2013.
Stuttgart - Ein handfester Ehekrach, der mit einem blindgängerischen Pistolenschuss endet, ein „Büro für Familienangelegenheiten“, das den Verkrachten den für die amtliche Scheidung dringend notwendigen Grund in Gestalt eines die Ehefrau verführenden Gigolos liefert, Wagners „Tristan“ zitierende, ansonsten aber neutönerische Liebesduette, eine Badewannen-Arie über die Vorzüge der Warmwasserversorgung in höchsten Koloraturen - das sind einige der Koordinaten, in denen sich Paul Hindemiths lustige Oper „Neues vom Tage“ bewegt. Das 1929 in Berlin uraufgeführte Opus geht derzeit in einer Produktion der Stuttgarter Opernschule im Wilhelmatheater über die Bühne.
Knallharte Parodie
Entstanden in Zeiten, da der Komponist Hindemith noch als junger, antibürgerlicher Wilder mit unterhaltsam-anarchischen Stücken die Musikszene aufmischte, steht das Werk ganz im Zeichen des Neoklassizismus und der Abwendung vom Pathos der Spätromantik. „Neues vom Tage“ ist eine knallharte Opernparodie, voller Lust an satirischer Zuspitzung, immer darauf bedacht, bürgerliche Werte ebenso wie die musikalische Tradition auf die Schippe zu nehmen. Dass dieses Stück wie so vieles aus dem umfangreichen Oeuvre Hindemiths, der von den Nazis als „atonaler Geräuschemacher“ diffamiert, verboten und aus dem Land gejagt wurde, heute kaum mehr aufgeführt wird, ist schwer verständlich. Entwickelte Hindemith doch eine sehr eigenständige, vitale, die Unterhaltungsmusik nicht ausgrenzende Klangsprache, die aber offenbar vielen Ohren noch immer zu unbequem ist.
Umso erfreulicher die Neuinszenierung im Wilhelmatheater. Einfach ist die vielstimmige, pralle Partitur allerdings nicht umzusetzen, gerade angesichts der vielen noch studierenden Beteiligten. Zunächst musste das Team um den musikalischen Leiter Michael Klubertanz den Orchesterpart erstmal auf den winzigen Graben des Wilhelmatheaters zuschneiden, das heißt die 70 Instrumente auf 21 reduzieren. Ob die Bearbeitung schuld daran war, dass die musikalische Spannung sich über 90 Minuten nicht wirklich halten konnte, oder ob die trockene Akustik die Farbigkeit der wild-polyphonen Partitur zu sehr dämpfte, sei dahingestellt. Jedenfalls motivierte Klubertanz das Orchester aus Studierenden der Musikhochschule mehr zu einer herben, rauen, hässlichen Klanglichkeit, als dass er die vielen besonderen Schönheiten herausgearbeitet hätte: etwa die Bläserkantilenen, die sich immer wieder aus der pulsierenden Rhythmik, aus Klaviergewusel, Trompetenschmettern und Trommelschnarren lösen und miteinander kommunizieren. Es fehlte an geschmeidiger Dynamik, genauer Artikulation und absoluter Transparenz.
Langweilig war der Abend jedoch nicht. Regisseur Bernd Schmitt gelang es zwar nicht ganz, die spöttisch aufs Korn genommene Eheproblematik für die heutige Zeit nachvollziehbar zu machen - so jung heiraten eben nur noch wenige. Aber ansonsten wirkte die Oper keineswegs antiquiert, zumal Schmitt ihr Finale, in dem das streitsüchtige Ehepaar seine skandalumwitterte Geschichte im Varieté und Film vermarkten lässt und vor einem riesigen Publikum über die privatesten Dinge schwätzt, auf entsprechende TV-Formate übertrug. Das spartanische Bühnenbild von Annette Wolf, die auch die heutigen Kostüme entwarf, baute sich gemäß der schnellen Taktung der Oper wie von selbst um: Eine Ikea-Regalwand im ehelichen Wohnzimmer verwandelte sich flugs in einen behördlichen Schalterraum, eine einsame Badewanne markierte das Zimmer im „Savoy“-Hotel, in das sich die Ehegattin geflüchtet hat.
Unter den neun Solisten und Solistinnen der Opernschule überzeugte in der Premiere vor allem die Sopranistin Isabella Froncala, die die amtlich zum Ehebruch gezwungene Gattin mit stimmlichem Furor und der Fähigkeit, ihrer Höhe mal hysterische Schärfe, mal entspannte Schönheit zu verleihen, gestaltete, aber auch durch starke Bühnenpräsenz beeindruckte. Nicht stimmlich, aber darstellerisch wirkte Bariton Jongwook Jeon als ihr Ehemann dagegen etwas blass, weil zu wenig aggressiv, während Mezzo Maria Pizzuto und Tenor Hansoul Moon als Nachbarehepaar, das den beiden zuweilen einen Spiegel vorhält, insgesamt professionell agierten. Der junge Tenor Dennis Marr als „schöner Herr Herrmann“ musste sich im Laufe des Abends freilich erst warm singen und wirkte weniger wie ein draufgängerischer Gigolo sondern wie ein etwas schüchterner Callboy.
Besondere Sorgfalt hatte Schmitt den Nebenrollen gewidmet: Witzig die Herrn Hermann umgarnenden drei Grazien Karline Cirule, Jasmin Hofmann und Jeanne Seguin, ebenso der komödiantisch sehr präzise Julian Popken, der als Museumsführer für Lacher sorgte: Herrlich knochentrocken etwa sein „Betrachten Sie die fehlenden Arme“ beim Anblick der antiken Venus-Statue, die im Wilhelmtheater freilich nur aus einem goldenen Frauenbein besteht.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung und die Stuttgarter Zeitung vom 9. bzw. 11.2. 2013.
eduarda - 11. Feb, 15:58