Dienstag, 12. Februar 2013

Selbsterkenntnis eines Monsters

Markus Hechtles „Minotaurus“ beim Stuttgarter Eclat-Festival für Neue Musik

Stuttgart - Der warme, kräftige Applaus, den die Schauspielerin Nicola Gründel am Ende des ersten Abends bei Eclat, dem Stuttgarter Festival für Neue Musik im Theaterhaus, entgegennahm, war hart erarbeitet. In der Uraufführung des Musiktheaters „Minotaurus“ von Markus Hechtle hatte sie den kompletten Text der gleichnamigen Ballade von Friedrich Dürrenmatt zu rezitieren - samt der zahlreichen Satz- und Wort-Wiederholungen, die der Komponist, wohl um den Text noch manischer und kreisender wirken zu lassen, demselben verpasst hatte.

Eine enorme Gedächtnisleistung, denn Gründel agierte auswendig: über gut 80 Minuten in rasendem Tempo, ohne Hänger, dafür stets wohl strukturiert und rhythmisiert und dadurch mitreißend vortragend, dazu gestisch und körperlich ständig unterschiedliche Erzählhaltungen signalisierend. Mal als Opfer undurchschaubarer Zusammenhänge in einer Ecke ­kauernd, mal distanzierte Berichterstatterin, mal mitfühlende Beobachterin oder eins geworden mit den erkenntnishaften, seelischen Vorgängen im Innern des armen und einsamen Ungeheuers: Minotaurus, der als Spielball zwischen Göttern und Menschen geboren wurde. Ein Monster aus Menschenleib und Stierkopf, gefangen im Labyrinth, gezwungen zur Tötung junger Männer und ­Frauen, die ihm geopfert werden. Später selbst vernichtet von Theseus, dem Ariadnes Faden half, dem Labyrinth wieder zu entkommen.

Dürrenmatt pflanzte dem mystisch-fremden Menschentier eine moderne Psyche ein: Er verglaste das Labyrinth, in dessen irren Windungen sich der Minotaurus nun spiegeln kann. Angesichts des Spiegelbildes beginnt der Prozess der Selbsterkenntnis.

„Mitsprechendes“ Klavier

Nicola Gründel hatte während ihrer Performance aber auch noch auf etwas anderes als den Text zu achten: auf die genaue Taktung mit dem Klavier. Ihre Sprechstimme war nämlich so gut wie durchgängig an dieses Instrument gekoppelt: an eine hochnervöse, einstimmige, stark rhythmisierte, nur eine kleine, tiefe Tonskala umfassende und ständig variierende Linie, die Gründels Stimme eine Art musikalisches alter Ego verlieh. Das war die kompositorische Hauptidee von Markus Hechtle, um aus Dürrenmatts Text Musiktheater zu machen. Nach zehn Minuten wirkte dieser Einfall bereits ein wenig spärlich, zumal Ueli Wiget am Klavier des Frankfurter Ensembles Modern in der Leitung Clemens Heils nicht immer so zurückhaltend vorging, dass die durchaus kräftige Stimme Gründels wirklich durchweg im Vordergrund blieb.

Außer dem „mitsprechenden“ Klavier lieferte das 13-köpfige Instrumentalensemble zwischendurch immer wieder schöne Klänge mit melodramatischem Effekt oder scharfe, dissonante Akzente. Es fehlten aber die Brüche, die die musikalische Monotonie gelichtet und den Text musikalisch differenzierter reflektiert hätten. Ein paar plötzliche Pausen, hier und da ein harter Schlag aufs Becken waren die einzigen klanglichen Irritationen. Allein ein guter Text und eine grandiose Rezitatorin machen noch kein hochkarätiges Musiktheater aus.

Leere statt Labyrinth

Stimmig war Thierry Bruehls Inszenierung, die sich ganz auf die Entfaltung des dargestellten Textes konzentrierte. Die Bühne von Christiane Dressler bot kein Labyrinth, sondern einen weißen, leeren, quadratischen Raum mit nur einer Türe - Gefängnis und Arena zugleich, oben, hinter Balustraden, hockten die Musiker. Die erzählte Handlung garnierten stumme Statisten: junge Männer und Frauen, also Opfer des Stiermenschen, und Theseus mit Maske. Der von der Brüstung hinunter pinkelnde Knabe am Ende des Abends aber blieb in seiner szenischen oder sonstigen Bedeutung recht rätselhaft.

Dem Musiktheater war ein kurzweiliges Konzert mit drei Uraufführungen von Instrumental- und Vokalwerken vorangegangen. Zunächst widmete sich das groß besetzte Ensemble Modern in Clemens Heils Leitung Alberto Hortigüelas feinem Stück „Cross-reading“ und entfaltete darin so etwas wie ein zartes Klanggitter aus Zirpen und Knarzen, aus dem einzelne Tönchen, Tongirlanden, ganze Klänge sprossen und gelegentlich zu wucherndem Gestrüpp mutierten.

Dagegen zielte Altmeister Hans Zender in seinem Akkordeon-Solostück „Ein Wandersmann … zornig … (Hölderlin lesen)“ darauf ab, die fragmentierte Sprache Hölderlins zu musikalisieren. So spiegelte sich die Zerrissenheit des Hölderlin-Fragments „Zu Sokrates Zeiten“, das der Solist selbst zu rezitieren hat, in den vagen, jedem Gleichmaß entgegenarbeitenden musikalischen Strukturen wider, die der glänzende Akkordeonist Teodoro Anzellotti in eine langsam zerfallende, zerklüftete Seelenlandschaft verwandelte. Carola Bauckholt wiederum bediente sich in „Stroh“ für Vokalquartett der derzeit beliebten Technik, das reine Singen durch polyphon geordnete, witzige Geräuschhaftigkeit, also menschliche Alltagslebensgeräusche, zu ersetzen. Für die vier Neuen Vocalsolisten war es ein gefundenes Fressen.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 11.2.2013. Die Aufführung fand statt am 8.2.

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