Kontrolliert, aber frei
Witz, Leichtigkeit, Intensität: Die Geigerin Hilary Hahn und die Camerata Salzburg im Stuttgarter Beethovensaal

Stuttgart - Die vollständige Kontrolle über den Ton und die technische Perfektion, mit der sie weltweit nur wenig Konkurrenz haben dürfte, machen die US-amerikanische Geigerin Hilary Hahn beim Spiel so frei, dass sie losgelöst scheint von allem Virtuosenschmerz dieser Welt. Ein bisschen zeigt sich ihr musikalisches Doppelwesen - kontrolliert, aber frei - auch äußerlich. Der Rockteil ihres Abendkleides, das sie im voll besetzten Stuttgarter Beethovensaal trägt, ist naturhaft bauschig, das Oberteil eher bieder und mit Glitzersteinchen besetzt, ihre Frisur einerseits etwas streng gesteckt, andererseits sind die Haare nicht wirklich glattgebügelt. Und ihre Haltung, sehr gerade wie bei einer Ballerina und über den Dingen schwebend, wird kontrastiert durch freundliche, offene Blicke, die sie neugierig oder bewundernd dem Orchester zuwirft, wenn sie sich ihm immer wieder zuwendet.
Mit Mozarts G-Dur-Violinkonzert KV 216 ist sie zwar diesmal nicht unbedingt mit dem technisch anspruchsvollsten Stück angetreten, aber man weiß es ja: Manchmal ist gerade das Einfachere das Schwerere. Und der Witz, die Leichtigkeit, die Intensität, mit der Hahn spielt, ihr sehr beweglicher Bogen, der filigran phrasieren kann, sind phänomenal. Die 33-Jährige streicht die Saiten nicht mit Schmackes an, sondern eher grazil, und treibt sie doch zu weit tragenden Aussagen. Jeden Ton setzt sie unter Strom, als verbänden die Notengirlanden die Pfosten eines elektrischen Weidezauns. Schön, wie sie die Musik atmen lässt. Alles sieht so einfach aus. Man kann nicht weghören, selbst wenn man wollte. Zusammen mit der Camerata Salzburg, einem erstklassigen Kammerorchester, und deren Leiter Louis Langrée lässt Hahn die Musik des 19-jährigen Mozart juchzen, jauchzen, seufzen, tirilieren und beinahe explodieren vor Jugend und Lebenslust.
Ralph Vaughan Williams’ Romanze für Violine und Orchester von 1914 heißt zwar „Die Lerche steigt auf“, aber sie erinnert die Ohren eher an das Panorama einer einsamen Prärielandschaft, durch die die Ureinwohner Nordamerikas ziehen. Das Orchester malt nun schöne, bunte Klangflächen, leise, behutsam, einfühlsam, derweil Hahn ihre Finger rhapsodisch-meditativ über die Saiten huschen lässt. Das Publikum ist ganz verzaubert.
Die Rahmenstücke gehörten dem Orchester allein. Samuel Barbers Adagio für Streichorchester wies zwar noch leichte Warmspielschlacken im Zusammenklang auf, gelang allerdings schön transparent, fein geformt und frei von jeglichem Kitsch - nicht selbstverständlich bei diesem verträumten Trauerstück. Louis Langrée forderte äußerste Gespanntheit und gebündelte Expressivität ein, trotz Zurückhaltung in der Lautstärke.
In Mozarts Jupitersinfonie, seiner letzten, dann Klassik vom Feinsten. Phrasierung heißt in der Musik Formung der Gedanken, was Lautstärke, Artikulation, Gliederung und Rhythmik angeht. Die Camerata phrasierte vorbildlich: atmend, luftig, lebendig, wodurch jene Transparenz entstand, die den prallen Kosmos des Orchesterinstrumentariums erst hörbar macht und damit die Qualität von Mozarts Musik. Kontrastreich, wirkungsvoll und plastisch spielte der Klangkörper jene Augenblicke heraus, in denen die raffiniert komponierte, sich aber scheinbar unproblematisch gebende Oberfläche plötzlich zerrissen wird und Tiefe entsteht. Ein Abend, der vorführte, wie Musik zur Droge werden kann.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 1.10.2013. Das Konzert fand statt am 28.9.

Stuttgart - Die vollständige Kontrolle über den Ton und die technische Perfektion, mit der sie weltweit nur wenig Konkurrenz haben dürfte, machen die US-amerikanische Geigerin Hilary Hahn beim Spiel so frei, dass sie losgelöst scheint von allem Virtuosenschmerz dieser Welt. Ein bisschen zeigt sich ihr musikalisches Doppelwesen - kontrolliert, aber frei - auch äußerlich. Der Rockteil ihres Abendkleides, das sie im voll besetzten Stuttgarter Beethovensaal trägt, ist naturhaft bauschig, das Oberteil eher bieder und mit Glitzersteinchen besetzt, ihre Frisur einerseits etwas streng gesteckt, andererseits sind die Haare nicht wirklich glattgebügelt. Und ihre Haltung, sehr gerade wie bei einer Ballerina und über den Dingen schwebend, wird kontrastiert durch freundliche, offene Blicke, die sie neugierig oder bewundernd dem Orchester zuwirft, wenn sie sich ihm immer wieder zuwendet.
Mit Mozarts G-Dur-Violinkonzert KV 216 ist sie zwar diesmal nicht unbedingt mit dem technisch anspruchsvollsten Stück angetreten, aber man weiß es ja: Manchmal ist gerade das Einfachere das Schwerere. Und der Witz, die Leichtigkeit, die Intensität, mit der Hahn spielt, ihr sehr beweglicher Bogen, der filigran phrasieren kann, sind phänomenal. Die 33-Jährige streicht die Saiten nicht mit Schmackes an, sondern eher grazil, und treibt sie doch zu weit tragenden Aussagen. Jeden Ton setzt sie unter Strom, als verbänden die Notengirlanden die Pfosten eines elektrischen Weidezauns. Schön, wie sie die Musik atmen lässt. Alles sieht so einfach aus. Man kann nicht weghören, selbst wenn man wollte. Zusammen mit der Camerata Salzburg, einem erstklassigen Kammerorchester, und deren Leiter Louis Langrée lässt Hahn die Musik des 19-jährigen Mozart juchzen, jauchzen, seufzen, tirilieren und beinahe explodieren vor Jugend und Lebenslust.
Ralph Vaughan Williams’ Romanze für Violine und Orchester von 1914 heißt zwar „Die Lerche steigt auf“, aber sie erinnert die Ohren eher an das Panorama einer einsamen Prärielandschaft, durch die die Ureinwohner Nordamerikas ziehen. Das Orchester malt nun schöne, bunte Klangflächen, leise, behutsam, einfühlsam, derweil Hahn ihre Finger rhapsodisch-meditativ über die Saiten huschen lässt. Das Publikum ist ganz verzaubert.
Die Rahmenstücke gehörten dem Orchester allein. Samuel Barbers Adagio für Streichorchester wies zwar noch leichte Warmspielschlacken im Zusammenklang auf, gelang allerdings schön transparent, fein geformt und frei von jeglichem Kitsch - nicht selbstverständlich bei diesem verträumten Trauerstück. Louis Langrée forderte äußerste Gespanntheit und gebündelte Expressivität ein, trotz Zurückhaltung in der Lautstärke.
In Mozarts Jupitersinfonie, seiner letzten, dann Klassik vom Feinsten. Phrasierung heißt in der Musik Formung der Gedanken, was Lautstärke, Artikulation, Gliederung und Rhythmik angeht. Die Camerata phrasierte vorbildlich: atmend, luftig, lebendig, wodurch jene Transparenz entstand, die den prallen Kosmos des Orchesterinstrumentariums erst hörbar macht und damit die Qualität von Mozarts Musik. Kontrastreich, wirkungsvoll und plastisch spielte der Klangkörper jene Augenblicke heraus, in denen die raffiniert komponierte, sich aber scheinbar unproblematisch gebende Oberfläche plötzlich zerrissen wird und Tiefe entsteht. Ein Abend, der vorführte, wie Musik zur Droge werden kann.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 1.10.2013. Das Konzert fand statt am 28.9.
eduarda - 2. Okt, 11:11