Donnerstag, 26. September 2013

Alice im Totenreich

Junge WLB Esslingen beschäftigt sich in „Verkleidete Diamanten“ von Nora Backhaus mit dem Thema Tod

Begegnungen der jenseitigen Art: Franziska Theiner als Mädchen mit Tobias Strobel als Maulwurf (li.) und Martin Frolowitz als Gnom. (Foto: WLB, Andreas Zauner)

Esslingen - Für Kinder, die auf die gute alte Aufklärungsfrage „Wo komm’ ich eigentlich her?“ schon alle Antworten wissen, gibt es jetzt in der Jungen WLB, dem Kinder- und Jugendtheater der Esslinger Landesbühne, ein uraufgeführtes Stück, das sich mit dem diametral entgegengesetzten Thema befasst: Wo geh’ ich eigentlich hin? „Verkleidete Diamanten“ heißt das Stück, und es ist sehr anspruchsvoll. Nicht nur, weil es vom Tod und den Fragen, was nach ihm kommt, handelt.

Nora Backhaus, bis zur vergangenen Spielzeit Schauspielerin im Ensemble der WLB, jetzt freischaffend, hat das Stück geschrieben. Es ist ihr erstes und wohl auch eines, das lange in ihr gearbeitet hat. Als sie klein war, schreibt sie im Programmheft, habe sie die Frage nach dem Tod sehr beängstigt, weil niemand Antworten gewusst habe. Es sei wichtig zu lernen, mit dem Thema Tod umzugehen, um dann nicht völlig überfordert zu sein, wenn ein Angehöriger stirbt. In anderen Ländern, wie etwa Mexiko, sei der Tod viel stärker in den Alltag integriert.

Ausgangspunkt des Stücks ist ein Spiel unter Kindern, in dem ein Mädchen „erschossen“ wird und sich tot stellen muss. Eine Situation, die ihm gar nicht behagt. So stellt das Mädchen (Franziska Theiner) die große, ungeklärte Menschheitsfrage: Was passiert mit mir, wenn ich tot bin? Die Frage scheint der Schlüssel zur fantastischen Welt hinter den Dingen zu sein. Wie Alice im Wunderland trifft das Kind nun auf allerlei merkwürdige, befremdende Gestalten. Denen stellt sie ihre Frage, und kriegt eine Menge unterschiedlicher Antworten.

Elementargeister und Puzzlemeister

Es sind schöne Bilder und witzige Figuren, die Backhaus erfunden hat. Die Elementargeister etwa in Gestalt einer Meerjungfrau, eines Papageis und eines Maulwurfs, die den Zustand des Todes ganz nach dem eigenen Wesen beschreiben: „Du fliegst im schönsten Himmel mit Rückenwind über traumhafte Landschaften“, „Du kommst in unentdeckte Ozeane mit unzähligen bunten Fischen und blühenden Seerosen“, „Du wühlst dich durch lockeren, weichen Sand mit vielen leckeren Regenwürmern drin!“Ein ge­nial-verrückter Puzzlemeister setzt pantomimisch Quader aufeinander, um sich daraus ein Haus zu bauen. Was nach dem Tod sei? „Du wirst natürlich neu zusammengepuzzelt!“, sagt er. Mit einem Knall landet das Mädchen an der Pforte des Totenreichs. Der verwirrte Wächter, der dreiköpfige Hund, gerät mit sich selbst in Streit bei jener gewichtigen Frage: „Hinter uns liegt nicht das Paradies. Dahinter ist das Nichts“, sagt sein erster Kopf. „Warum sollten wir denn das Nichts bewachen?“, fragt sein zweiter Kopf, „das ist alles Quatsch! Hinter uns liegt eine Wartehalle, in der du deinen neuen Körper bekommst“.

Nora Backhaus spricht vieles an in ihrem Stück: die Frage nach der Wiedergeburt, ob die Unsterblichkeit wünschenswert ist, dass das Leben schön und wertvoll ist und wir alle im tiefsten Inneren verkleidete Diamanten sind, die der Tod nur dann zertrümmern kann, wenn niemand sich mehr an uns erinnert. Das Ensemble mit Franziska Theiner, To­bias Strobel, Annegret Taube und Martin Frolowitz macht seine Sache in der Regie von Nora Bussenius mitreißend, engagiert, lustig und sehr liebevoll. Die kleine Bühne des Kindertheaters im Esslinger Schauspielhaus wurde von Sebastian Ellrich in eine kühle Betonlandschaft mit meist verspiegelten Ausgängen verwandelt. Wunderbar sind Thomas Rodehuth die vielen unterschiedlichen Kostüme gelungen - etwa der erd-flauschige Maulwurf mit Schweißerschutzbrille oder der garstige Gnom: ein Mülltütenhaufen mit Gesicht.

Achtjährige, an die sich das Stück richtet, dürften von der Aufführung insgesamt allerdings überfordert sein. Spätestens in der viel zu langen Szene vom armen, mitleiderregenden, uralten Wesen, das alles schon hundertmal erlebt hat und sich zu Tode langweilt, aber immer noch nicht sterben darf, wurde das junge Publikum in der Uraufführung sehr unruhig. Und Themen wie Wiedergeburt über ein Rollenspiel dreier verkleideter Affen zu behandeln, verlangt schon einige intellektuelle Geschmeidigkeit. Über viele Witze lachten denn auch vor allem die Erwachsenen. Und womöglich erst der finale Auftritt des Maulwurfs - er ist der Sympathieträger des Abends - und sein Liebesgeständnis an einen perfekt geformten Stein sprachen wieder die Humornerven der Jungen und Mädchen an. Dennoch: „Versteckte Diamanten“ ist ein schönes, gelungenes Stück, das man freilich noch ein wenig straffen könnte und das eher für Kinder ab zehn Jahren geeignet erscheint. Und dann am besten thematisch gut vorbereitet durch die Schule.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 24.9.2013. Premiere war am 21.9.

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