Donnerstag, 24. Juli 2014

Walzer gebiert Ungeheuer

Geschichten aus dem Wiener Wald – HK Gruber vertont Ödön von Horváths kritisches Volksstück für die Bregenzer Festspiele

Von Verena Großkreutz


Bregenz, 23. Juli 2014. Um Ödön von Horváths Theaterstücke angemessen in Szene zu setzen, muss man sehr musikalisch sein. Es kommt auf den Ton an, sonst können Horváths Sprachpartituren nicht wirken mit ihren doppelbödigen Dialogen, aus denen beständig Gewalt und Aggression hervorzuschießen drohen. Ganz besonders musikalisch muss man für die "Geschichten aus dem Wiener Wald" sein. Schließlich heißt es schon in der ersten Regieanweisung: "In der Luft ist ein Klingen und Singen – als verklänge irgendwo immer wieder der Walzer 'Geschichten aus dem Wiener Wald' von Johann Strauß."

Horvath'sche Vorstadtfiguren in der Opernversion: "Geschichten aus dem Wiener Wald"
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© Bregenzer Festspiele / Karl Forster

Horvath'sche Stille

Ist es im Falle eines ohnehin schon "klingenden" und "singenden" Stücks sinnvoll, es zu vertonen? Könnte das Zutun eines Komponisten nicht eher kontraproduktiv wirken und die krass-gemeinen Doppelbödigkeiten und die Horvath'sche "Stille" durch Doppelgemoppel zukleistern und dadurch entschärfen? Immerhin – der Stoff passt durchaus zum Opernsujet: Diese Geschichte um die gute Marianne, Tochter eines Wiener Spielwarenhändlers, die mit dem fiesen Metzger Oskar verheiratet werden soll, aber dann mit dem Nichtsnutz Alfred durchbrennt, von ihm ein uneheliches Kind gebärt, verlassen wird, dann in die Erotik-Branche abgleitet, gar hinter Gittern landet, um dann am bitterbösen Ende doch von Oskar geehelicht zu werden, nachdem ihr Kind umgebracht wurde.

HK Gruber, 71-jähriger Star der österreichischen Neue-Musik-Szene, hat sich jetzt getraut, die "Geschichten" zu einer Oper mutieren zu lassen. Im Auftrag der Bregenzer Festspiele, die damit in diesem Jahr im Festspielhaus eröffneten. Um es vorwegzunehmen: Das Ergebnis macht zwar das Stück nicht noch besser, als es eh schon ist, aber es vertont angemessen und musikalisch durchaus spektakulär. Wer, wenn nicht der Wiener HK Gruber, kennt sich mit doppelbödigen Tonfällen aus? Gruber ist ein Komponist, der fernab avantgardistischer Doktrinen zu einer eigenen Musiksprache gefunden hat, die alles amalgamiert: ob Wiener Volkslied, schräges Neutönerisches, romantische Töne, Weill‘scher Song, Bruitistisches à la Strawinsky, Sprechgesang à la Berg, Minimalismus. All das scheint auf.

Partitur mit Tiefenschichten

Huber kann seinen Tonfall ändern wie ein Chamäleon. Dadurch kann er dem "Jargon der Uneigentlichkeit" auf den Zahn fühlen: dieser Sprache des Klischees, die das Horváthsche Bühnenpersonal spricht, sich dabei oft syntaktisch verrenkt und – als ungenaue Imitation des Bildungsbürgertums – sich Zitaten, Fremdwörtern, Pseudoweisheiten und Schlagwörtern bedient. Im quecksilbrigen Orchesterflow – HK Gruber steht selbst am Pult der Wiener Symphoniker – wird mal geplappert, mal ziellos mäandert, mal brutal zerhackt und krawummt – immer als Kontrapunkt zum gesungenen Wort oder Sprachsingsang, das sich von den Zungen, die es formulieren, längst entfremdet hat. Ob Gottesmühlen nun langsam, aber furchtbar klein mahlen, wie Metzger Oskar droht, Menschen ohne Ziel keine Menschen seien, wie Marianne mutmaßt, oder die Fleischhauerei ja noch immer etwas ganz Solides, sprich Lukratives, darstellt, wie es der Zauberkönig unterstreicht.

In den Tiefenschichten der vielstimmigen Partitur lauert stets auch der Walzer. Mal lugt er keck hervor, mal bricht er sich breitfüßig Bahn, mal scheint er stotternd, mal drohend ganz kurz auf oder wirft nur einen Schatten. Diese Gemütlichkeit gebiert Ungeheuer. Diese herausgestellte Gutmütigkeit bedeutet Gewalt.

Nah an den Figuren

Für eine Neue-Musik-Produktion ist der am Ende kräftig umjubelte Abend stimmlich geradezu luxuriös besetzt. Etwa die mannstolle Trafikantin Valerie: Sie wird von Mezzosopranistin Angelika Kirchschlager höhensicher und lyrisch unterfüttert gesungen. Jörg Schneider verleiht den Oskar Heldentenortimbre. Dass der bösartige, in seiner latenten Gewalttätigkeit sprachlich scharf gezeichnete Metzger von Gruber mit dem Tenorfach bedacht wurde, ist ein zentraler Gedanke seiner Vertonung: Oskars Verlogenheit und Herzenshärte entlarvt sich aus der Diskrepanz seiner Tätlichkeiten und seiner Sprache zum Schöngesang. Grandios ist die nunmehr 74-jährige Anja Silja als Alfreds Großmutter und Kindsmörderin: keine tattrige, schwachsinnige Alte, sondern das personifizierte Böse: grell und laut in der Höhe, vibrierend, anmaßend. Musikalisch wie darstellerisch trägt Sopranistin Irene Eerens als Marianne einen großen Teil des Abends. Überzeugend in der Rebellion wie im Scheitern, im Lieben wie im Verzweifeln, stark und zerbrechlich, auch was die extremen Höhen und Lautstärken ihrer Partie angeht.

Das ist ohnehin die Stärke der Vertonung: nie gerät etwas lächerlich. Auch nicht im Falle Mariannes. Nirgends ist die Musik so nah an der Figur, so identisch und damit wahrhaftig, wie in dieser Soloszene: Wenn Marianne verzweifelt singt: "Gott, was hast du mit mir vor?" Etwas, was oft naiv-kindlich wirkt, erhält durch Grubers Musik bewegende Größe. Aufgehoben im ewigkeitstönenden Orchesterkosmos erhöht sich Mariannes einsames, aussichtloses Empfinden zu einer allgemeinmenschlichen Frage.

Hochhäuser am Donauufer

Libretto und Regie liegen in dieser Produktion in einer Hand. Michael Sturminger hat die Vorlage sehr behutsam gekürzt, den Wortlaut originalgetreu übernommen, allerdings die Szenen zum Teil umgestellt, was dramaturgisch nicht unbedingt einleuchtet. Als Regisseur hat er das Stück zudem in die heutige Zeit verlegt. Puppenklinik, Metzgerei, Kiosk etwa liegen nun einer Einkaufszeile eines Hochhausviertels. Das Ufer der Donau schmückt eine Hochhausskyline. Im Maxim bedienen Bunny-Girls.

Aber Horváths Stück ist fest in seiner Entstehungszeit verortet. Seine Figuren sollten sich so artikulieren wie jemand, der sonst nur Dialekt spricht und sich nun zwinge, hochdeutsch zu reden, schrieb Horváth einmal. Dieses "Volk" hat mit dem Dialekt auch seine Sprache verloren. "Geschichten aus dem Wiener Wald" wurde 1931, während der Weltwirtschaftskrise und kurz vor Beginn der NS-Barbarei, uraufgeführt. Horváth hat darin sehr genau die Mentalität des Vorfaschismus herausgearbeitet: Er zeigt Menschen, die durch die Not demoralisiert wurden, für die Gefühle und Menschlichkeit Luxusgüter sind. Ein Aspekt, der mit dieser Aktualisierung reichlich entschärft wird.

In Oskars Armen

Dafür gibt es viele starke Szenen. Etwa jene, in der Erich, der Nazi-Neffe, beim Nennen seiner Profession "Jus, 3. Semester, Arbeitsrecht" mit dem Gewehr ins Publikum ballert. Oder die Nacht im Maxim mit Band auf der Bühne und tierischen Tänzchen an der Stange. Vor allem aber die Schlussszene, für die Gruber ein musikalisch waschechtes "Liebesduett" komponierte, das den Text aber konterkariert, weil sich darin Mariannes "Ich kann nicht mehr" und Oskars "Du entgehst meiner Liebe nicht" ineinander verschränken. Am Ende trägt Oskar die ohnmächtige Marianne auf den Armen von der leeren, vernebelten Bühne. Gewalttätige, unheilverkündende Musik donnert auf. Godzilla lässt grüßen.

Besprechung für www.nachtkritik.de.

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