Dienstag, 15. März 2011

Die gemeinen Spiele der Liebe

Laura Tetzlaffs starke Inszenierung von Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ am Stuttgarter Staatsschauspiel

Marietta Meguid als Petra von Kant (Foto: Gläsker, Quelle: Staatstheater Stuttgart).

Stuttgart - Diese Inszenierung sollte man nicht verpassen. Rainer Werner Fassbinders Drama „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, das jetzt in der Spielstätte Nord des Stuttgarter Staatstheaters Premiere hatte, ist eine in jeder Hinsicht durchkomponierte, bis ins Detail liebevoll umgesetzte Produktion, an der einfach alles zu loben ist: die Darstellerinnen, die Regie, der Ausstatter und der Einsatz von Musik.

Emotionale Eiszeit

Fassbinders Beziehungsdrama, das von der Liebe und ihren Macht-, Abhängigkeits- und Unterwerfungsstrukturen handelt, spielt in asiatischer Formenstrenge (Ausstattung: Gwendolyn Bahr): ein Raum wie eine kleine Kampfsporthalle, umrahmt von papierenen Schiebetüren, auf die große Sumo-Ringer gemalt sind. Möbel gibt es keine. Hier lebt Petra von Kant, die reiche, berühmte Modeschöpferin, zusammen mit ihrer Bediensteten Marlene. Die treu Ergebene kocht Kaffee und putzt, zieht ihre Herrin an und aus, schminkt sie, schreibt Briefe und ordnet die Kleiderkammer. Dafür erhält sie gelegentlich eine unterkühlte Umarmung, ansonsten Befehle und Beschimpfungen. Es herrscht emotionale Eiszeit zwischen beiden. Gesten und Bewegungen sind ritualisiert, von Kants Sprache artifiziell, uneigentlich. Die Dienerin bleibt stets stumm.

Sie verzieht auch keine Miene, als von Kants Freundin Sidonie von Grasenabb das junge Model Karin Thimm mitbringt, in die sich die Modefrau Hals über Kopf verliebt. Beim ersten Date steht von Kant zunächst auf der Galerie, schaut auf Karin hinab, als sei's ein interessantes Tier. Doch das Blatt wendet sich bald. Karin, berechnend, kühl und jugendlich überheblich (wunderbar: Sarah Sophia Meyer), zieht zwar sofort ein, wird der Beziehung jedoch bald überdrüssig und quält die Geliebte genießerisch mit Berichten über Affären und wilde Liebenächte. Jetzt bettelt von Kant um Liebe und Zuwendung. Doch Karin verlässt Petra.

Aus ist es mit der Selbstbeherrschung

Aus ist es mit der Selbstbeherrschung, der Wahrung der Form. Emotionen brechen sich Bahn. Phänomenal, wie sich Marietta Meguid alias Petra von Kant jetzt in das Gefühlskarussell stürzt, überwältigt von der Gleichzeitigkeit der Emotionen, die über sie hereinbrechen. Eine perfekte Studie über die darstellerische Gefühlspalette unglücklicher Liebe, in rasant wechselnden Tonfällen dargeboten: Hass und Liebe aufs Objekt, Hilflosigkeit, Selbstmitleid, kindischer Trotz, Verzweiflung, Selbsthass. Cholerisch zertritt sie schließlich die Geburtstagstorte, knallt Cocktailgläser an die Wand, beschimpft Tochter, Mutter und Freundin, die sie besuchen. Am Ende dann die Einsicht: „Man muss lernen zu lieben, ohne zu fordern.“ Von Kant bittet die Dienerin um Verzeihung für die Erniedrigungen. Doch Marlene verlässt ihre Herrin ohne ein Wort des Abschieds.

Regisseurin Laura Tetzlaff nutzt den leeren Raum für die Inszenierung von Nähe und Distanz. Selbst oberflächliche Berührungen wirken stark. Räumliche Entfernung steht für das innere Verhältnis zueinander, für emotionale Kälte und für Einsamkeit. Die Szenen werden eingerahmt von streng choreografierten Aufräumarbeiten der stummen Dienerin: Zu quirlig rhythmisierter Jazzmusik läuft sie Diagonalen ab. Immer dieselben. Fast manisch.

Getaktet ist der kurzweilige Abend durch subtile, pointierte Komik. Übertrieben gezeichnete Charaktere wie die Baronin von Grasenabb (authentisch: Anne Cathrin Buhtz), die wie ein flatternder Flamingo von der rasenden Modeschöpferin aus der Wohnung gejagt wird, oder die mit sprichwortartigen Ratschlägen nervende Mutter (schön überzogen: Gabriele Hintermaier), die eigentlich vom Geld der Tochter lebt, stehen den „natürlich“ agierenden Figuren Karin und Tochter Gabriele (sympathisch: Hanna Franck) gegenüber. Komische Akzente setzt immer wieder die allgegenwärtige stumme Dienerin (brillant: Silja Bächli), wenn sie etwa auf den Befehl von Kants „Musik, Marlene!“ einen kurzen Blick nach oben wirft und dann der Song „Wicked game“ von Chris Isaak erklingt, in einem neuen Arrangement gesungen von Silja Bächli (Musik: Murat Parlak). „Was für Gemeinheiten du tust, um mich von dir träumen zu lassen“, heißt es darin. Es ist einer der unzähligen kleinen genialen Details, die diese Inszenierung so sehenswert machen: Dass Marlene, die bis dahin den Mund nicht aufgemacht hat, genau diesen Song dann live singt, während sie Petra von Kant für immer verlässt - durch den Schlitz in der Schiebetür, den die Rasende zuvor mit dem Messer gerissen hat.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung von heute. Premiere war am 12. März 2011.

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