Dienstag, 4. März 2014

Empfindsame Gewalt

David Bösch inszeniert Sarah Kanes „Zerbombt“ in der Spielstätte Nord des Stuttgarter Staatsschauspiels

Verwüstet sind die Außenwelt und die eigene Seele: Der Kriegsverbrecher (Manolo Bertling) hat ganze Arbeit geleistet. (Foto: JU_Ostkreuz)

Stuttgart - Der Krieg bricht ein, als wäre er eine Naturkatastrophe: direkt durch die Decke des Nobelhotels, in dem sich zuvor die masochistische, ständig am Daumen nuckelnde Kindfrau Cate und das sadistische, rassistische, todkranke Arschloch Ian zu einem Stelldichein getroffen haben, das in allerlei gegenseitige Quälereien und eine Vergewaltigung mündet. Durch die Decke brechen Schotter, Geröll und vereinzelt auch Stofftiere - die man aber erst später als solche erkennt - und verwandeln Patrick Bannwarts Bühnenbild, das zuvor ein karg-gestyltes Hotelzimmer zeigte, in ein wahres Trümmerfeld. Ein eindrucksvoller Schockeffekt in David Böschs Inszenierung von Sarah Kanes „Zerbombt“, die jetzt in der Spielstätte Nord des Stuttgarter Staatsschauspiels Pre­miere hatte.

Ohne Hoffnung

„Zerbombt“, das erste von fünf ­Theaterstücken der britischen Autorin Sarah Kane, die sich 1999 28-jährig das Leben nahm, löste bei seiner Uraufführung 1995 einen Skandal aus. Kein Wunder: Die Sprache ist krass, die Handlung noch krasser, und wer in all dem finster-abgründig-aussichtslosen Szenario einen Hoffnungsschimmer erwartet, den tröstet nichts. Ians ständig wiederholtes und kaltes „Ich liebe dich doch, Cate“ wirkt angesichts all der Demütigungen, körperlichen Attacken und Beleidigungen leidenschaftslos.

Krass wirkt das Stück auch heute noch - zumindest was seine Brutalität angeht. Dabei haben David Bösch und Dramaturgin Anna Haas den Text um einige Ekeligkeiten erleichtert, die drastischen Regieanweisungen zum großen Teil gar nicht mitinszeniert und einige Details unter den Tisch fallen lassen: etwa die Szene, in der Cate Ian beinahe den Penis abbeißt. Die epileptischen Anfälle von Cate - von Maja Beckmann als eine ständig pubertär an ihren Jeans und ihrem T-Shirt herum­zupfelnde Nervensäge gespielt - sind ohnehin die stärksten Körperbewegungen an diesem Abend. Sie und der geschäftsmännisch gekleidete, Gin saufende Ian (Robert Kuchenbuch), der, wenn er Cate nicht an die Wäsche geht, stets unbeweglich und mit ausdruckslos-cooler Miene à la John Wayne herumsteht, sind meist auf Distanz inszeniert. Seine Vergewaltigung von Cate, die auch im Stück nicht gezeigt wird, verdeckt Bösch durch Dunkelheit und den Oasis-Song „Wonderwall“, der bei „you are my“ einen Hänger kriegt.

Der Krieg bricht also durch die Decke ins hermetisch abgeschlossene Hotelzimmer, und nicht so dezent wie im Originaltext, in dem ein Soldat zunächst höflich anklopft, bevor er sich als brutale Killermaschine entpuppt. Im Nord gerät er als streunender Freischärler per Zufall ins kaputte Hotel, auf der Suche nach menschlicher Nähe. Das ist überraschend inszeniert. Manolo Bertling zeigt den Kriegsverbrecher als den am stärksten Fühlenden im Stück. Er kriegt Tränen in die Augen, wenn er von den Gräueln der Folterungen und Vergewaltigungen berichtet, an denen er selbst massiv beteiligt war. Ein durchs Kriegsgeschehen irrender Empfindsamer als brutalster Gewalttäter: Manolo Bertling spielt das so schockierend wie überzeugend - selbst nachdem er Ian vergewaltigt und ihm die Augen ausgesaugt hat, um ihn verstümmelt, als sterbenden Menschenrest, sich selbst zu überlassen. Bösch verzichtet auf die Umsetzung der Regieanweisung, der Soldat schieße sich jetzt das Hirn aus dem Kopf.

Cate wirkt am Ende lediglich zerstreut und abwesend. Ein Baby hat sie in der Zwischenzeit von einer sterbenden Mutter übernommen. Als es tot ist, lässt sie es einfach auf den Boden fallen. Es ist nicht weit her mit ihren Emotionen: Nur wie nebenbei wird ein Ensemble aus Stofftierchen um den Kinderleichnam gelegt. Und ihr Spruch „Ich bin Vegetarierin“ wirkt angesichts des menschenfressenden Drumherums geradezu lächerlich.

Den Schluss lässt der Regisseur Cate und Ian nicht spielen, sondern lediglich sprechen: dass der verhungernde Ian das tote Baby frisst, dass Cate den Sterbenden noch einmal mit Würstchen füttert. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass David Bösch dem Stück nicht mehr wirklich traut. Und darin hat er vermutlich Recht. Der Zusammenhang, der zwischen Krieg und Sexualität hergestellt wird, wirkt oberflächlich in seiner extremen Darstellung und allzu pauschal in seiner Quintessenz, das Herz des Krieges schlage schon in der Beziehungskiste. Es fehlt an einem reflektierenden Überbau, an Substanz.

Man liest oft, Kanes finstere Stücke seien Produkte ihrer schweren Depressionen. Aber „Zerbombt“ wirkt rückblickend eher wie eine Verarbeitung damaliger Medienberichte über die ungeheuren Verbrechen während der Jugoslawienkriege. Erstmals wurde damals in größerem Umfang über die Gräuel in den eigens dafür eingerichteten Camps berichtet, erstmals wurde die Vergewaltigung von Frauen als Mittel der Kriegsführung von Historikern als Tatsache gewertet. Diese Gewalt hat Kane thematisiert, aber nicht grundlegend analysiert. Weswegen ihre Darstellung zu schnell ermüdet, als dass sie schockieren könnte.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 3.3.2014. Premiere war am 28.2.

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