Samstag, 13. März 2010

Flieger im Frack

Der Pianist Gerhard Oppitz in der Stuttgarter Liederhalle

Stuttgart - Vielleicht ist es ja das Fliegen, das den Pianisten Gerhard Oppitz zu einem Spiel animiert, das zumindest bei seinem jüngsten Auftritt im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle den Eindruck hinterließ, er sei an der Musik, die er gerade interpretiert, innerlich nur sehr marginal beteiligt. Als begeisterter Pilot, als der er im Programmheft beschrieben wird, genießt Oppitz offenbar des öfteren die Freiheit hoch über den Wolken, die dort bekanntlich grenzenlos ist. Da wird ihm wohl das, was sonst groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein. Das sei ihm auch gegönnt. Schade nur, dass Oppitz diese Gemütsverfassung mit in den Konzertsaal trägt.

Denn Ludwig van Beethovens "Pastorale"-Klaviersonate spielte der Hobby-Flieger absolut wolkenfrei. Das brachte ins Allegro aber auch keine klare Sicht. Zuviel Pedal vernebelte die Tonformung. Und wo blieb im Andante die Trauer, wo im Scherzo der Witz und wo im Rondofinale die eigentlich auskomponierte Gefühlsschwankung? Stoisch hielt Oppitz Kurs.

In gefährliche Turbulenzen geriet der musikalische Ikarus dann allerdings in Richard Strauss' früher Klaviersonate h-Moll op. 5. Hier schien er sein Prima-vista-Spiel ein bisschen trainieren zu wollen. Spannungsbögen und Dynamikangaben waren ihm aber Ballast. Viel zu sehr war er beschäftigt mit der Steuerung des virtuos sich aufbäumenden Materials. Für Gefühle war da keine Zeit. Und sobald das Tempo ein bisschen anzog, stotterte der Motor.

Oppitz' Spähflug über die Notenblätter brachte auch in Max Regers Klavierstücken op. 53 keine Aufklärung. Ihr Titel "Silhouetten" blieb ein Geheimnis. Da hatte es sich die Langeweile längst gemütlich gemacht im mau besuchten Beethovensaal.

Ein wenig Auftrieb erhielt Oppitz' musikalischer Erkundungsflug erst in Franz Schuberts Wandererfantasie. Aber schon bald entpuppten sich erste Anzeichen emotionaler Involviertheit als professionelle Routine. Der Münchner, der auch ein "wahrer Gourmet und Weinkenner" sein soll, machte es sich viel zu bequem im Cockpit seines Steinways und frönte einem gelassenen Segeln über die Tasten. Nervende Einheitsdynamik und gleichförmiger Ausdruck ließen vermuten, dass er in Gedanken schon längst beim abendlichen Feinschmecker-Menü weilte. Von der Tiefe und Schwere der Schubertschen Gedankenwelt, die von kalten Sonnen, welken Blüten, vom Fremdsein und von leerem Schall kündet, war an diesem Abend nichts zu spüren. Dafür müsste Gerhard Oppitz erst einmal Fahrwerk und Landeklappen ausfahren.

Überarbeitete Version meiner Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 12.3.2010. Das Konzert fand statt am 10.3.2010.
Annette Eckerle (Gast) - 15. Mär, 16:21

Eine war zuviel

... also, eigentlich ist es ja schön, des Pianisten wirklich mäßiges Spiel auf seine Lust am Fliegen zurückzuführen. Der Ikarus-Vergleich ist dann aber des Guten zuviel, auch weil er dem Sinn nach nicht funktionieren kann. Ikarus wagte sich in jugendlichem Ungestüm zu dicht an die Sonne dran, weshalb die Flügel schmolzen, und er pardautz hart auf der Erde landete. Aber Oppitz spielte ja nun nicht erdenschwer, geschweige denn erdverbunden. Der spielte einfach halt mal irgendwie huschdiwusch, ist über die Stücke hinweggesaust wie eine Fliege übers Honigbrot. Apropos Kulinarika. Der kulinarische Vergleich am Ende ist auch noch ein bissl viel, zumal verbunden mit der Beschreibung des gelassenen Segelns. Ansonsten: eine vergnüglich zu lesende Glosse auf einen wirklich nicht enden wollenden Klavierabend.

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