Dienstag, 30. August 2011

Getragen wie von Engelsflügeln

Musikfest Stuttgart: Helmuth Rilling machte Felix Mendelssohns "Elias" zu einem spannenden Konzertereignis

Als zweites Eröffnungskonzert des Musikfests Stuttgart gab es am Sonntag im - diesmal voll besetzten - Beethovensaal Mendelssohns Oratorium über die große Dürre und das Wasser als Gottesbeweis

Felix Mendelssohn Bartholdy liegt Helmuth Rilling. Vielleicht, weil Mendelssohn in seiner geistlichen Musik bei aller lyrischen Leichtigkeit und romantischen Schwerblütigkeit Johann Sebastian Bach näher steht, als die anderen großen Komponisten des 19. Jahrhunderts - vor allem was die Behandlung der Chöre angeht und die Orientierung an barocker Formenstrenge.

Dass Mendelssohn Rilling liegt, zeigte sich auch eindrücklich am Sonntag im voll besetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle. Die Aufführung des Oratoriums "Elias" wurde zu einem inspirierten und spannenden Konzertereignis, das so manch magischen Moment zu bieten hatte. Das lag sichtbar auch an der Empathie aller Beteiligten – dem vorzüglichen Solistenquartett, der Gächinger Kantorei und dem Bach-Collegium – und an einem sich über den Abend steigernden innigen und konzentrierten Miteinander.

Der Verdammungsspruch, mit dem Mendelssohn originellerweise sein Oratorium über den alttestamentarischen Propheten Elias beginnen lässt, machte es sofort deutlich: Für den erkrankten Thomas Quasthoff hatte man in Markus Eiche einen hervorragenden Ersatz gefunden. Das war ein Elias ganz nach dem Geschmack des Komponisten: "stark, eifrig, auch wohl bös und zornig und finster, fast zu der ganzen Welt im Gegensatz und doch getragen wie von Engelsflügeln."

Aber Eiche ging in seiner Deutung noch weiter, verpasste dem unerbittlichen Propheten etwas Kühl-Rationales, Robbespierrehaftes, was das untergründig Gewalttätige dieses Charakters zum Ausdruck brachte, das dann in der Aufforderung zum Morden der Baals-Priester ja auch zum Ausbruch kommt. Der Bariton brachte diese Facette durch ein gewisses kaltes Timbre in der Stimme und eine schneidende Artikulation des Textes zutage. Ein Sänger, der in allen Lagen kräftig, prächtig und sicher intoniert.

Mit entspannt erreichten Höhen und viel Wärme in der Stimme erfreute auch Tenor Dominik Wortig. Die Altistin Renée Morloc gestaltete ihre Partie sorgsam, mit Herz und einem angemessenen Schuss Theatralik. Sie nutzte dabei gekonnt die unterschiedlichen Farben ihrer Register. Brillant-virtuos präsentierte sich Sopran Camilla Nylund – auch wenn sie ihren durchwegs opernhaften
Gestus oft etwas übertrieb. Auch ihr fast konsequent durchgehaltenes Dauervibrato störte gelegentlich. Benedikt Bäuerle vom Knabenchor Collegium Iuvenum Stuttgart sang seine in ungeheure Höhen aufsteigende kleine Partie professionell und ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen.

Die archaische Wucht der alttestamentarischen Erzählung, die krasse Darstellung von Gewaltekzessen, Naturkatastrophen und Elementarkräften, die Mendelssohn in wirkungs- und kraftvolle Musik gesetzt hat, wurde von den Ensembles engagiert und in kräftigen Farben zur Entfaltung gebracht. Rilling verlor nie den Blick auf die Spannungskurve, sorgte für den dramatischen Fluss, brachte die Übergänge auf den Punkt. Der Chor tritt im "Elias" nach dem Vorbild der Bachschen Passionen sowohl aktiv handelnd als auch kommentierend in Erscheinung. Mit Emphase und feinem dynamischen Aufbau gelangen der Gächinger Kantorei die dramatischen Schilderungen, emotional aufgeladen und dennoch präzise und transparent wirkten die großen Chorszenen, die Klage- und Wut-Chöre: Mächtig dröhnten die Baal-Rufe, wuchtig und aggressiv forderte das Volk Elias' Tod. Besonders klangschön und rein glückte das berühmte Engel-Doppelquartett.

Am Ende des Abends war das Publikum enthusiasmiert, erhob sich so gut wie geschlossen zu Standing Ovations. Darunter auch Musikfest-Schirmherr Winfried Kretschmann und seine Gattin, sichtlich gepackt vom Konzert. Beim anschließenden Empfang verlieh Kretschmann seiner Begeisterung Ausdruck, in dem er für kurze Plaudereien von Tisch zu Tisch ging, jedem Einzelnen die Hand reichte und sich bei allen Mitwirkenden für den tollen Abend bedankte. Schon in der Pause hatte man den Landesvater im vertraulichen Gespräch mit jugendlichen Autogrammjägern gesehen: ein ungewöhnlicher Anblick in der Politik.

Besprechung für die Stuttgarter Nachrichten von heute. Das Konzert fand statt am 28. August 2011.

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