Haydn goes Balkanblues
Der Akkordeonist Otto Lechner und das Casal Quartett bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen
Ludwigsburg - „Seit Jahrzehnten blind im Dienste der Musik“, prangt auf Otto Lechners Homepage. Keine Frage: Der blinde österreichische Akkordeon-Virtuose, der unter anderem angibt, „als Kompo- und Pianist“, „in An- und Straßenbahnzügen“ sowie in „Kir- und bei Brötchen“ zu arbeiten, hat Humor. Und gute Musik macht er sowieso. Zu hören war das jetzt bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen, wo der vielseitige Langzeit-Wiener jetzt mit dem Schweizer Casal Quartett und Haydns Streichquartetten op. 33/5 und op. 76/1 im Ordenssaal auftrat.
Das Casal Quartett spielte notengetreu, mit großem Ausdruckswillen und recht homogen. Otto Lechners Akkordeon kommentierte, konterkarierte, ergänzte das Spiel des Quartetts. Weil Lechner durch und durch ein Musiktier ist, ergab sich daraus ein sehr unterhaltsamer und anregender Abend. Der Blinde hörte sich jeweils zunächst den Kopfsatz kommentarlos an, stieg dann in den langsamen zweiten ein und blieb auch im Scherzo beziehungsweise Menuett und im Rondo Haydn eng auf den Fersen. Er nutzte die Bruchteilchen von Leer-Sekunden zwischen den Quartetttönen für zarte Trillerchen, kecke Harmonien, fremde Farben, Bluenotes und nervöse Einsprengsel, reagierte mit Imitationen und exotischen Gegenstimmen, grätschte zuweilen mit melancholischen Melodiefloskeln hinein oder kadenzierte mit einem „Dadada“ auf den Lippen im bulgarischen Stil. Das gewohnte klassisch-klare Klangbild wurde dadurch eingetrübt, gleichzeitig aber auch erhellt: Denn Lechners pointierende Teilübermalung des Originals beleuchtete durchaus latent Vorhandenes, förderte tänzerische, rhythmische oder melodische Charaktere zutage, die bei Haydn unter der Oberfläche lauern.
Mitreißend auch Lechners einsätzige Akkordeon-Solo-Fassung von Haydns „Quintenquartett“, das er auf „Tauglichkeit als Tanzmusik“, mal als Tango, mal als Balkanblues, untersuchte. Und geradezu avantgardistisch wirkte die Verwandlung jenes Satzes aus Haydns „Kaiserquartett“, welcher die Melodie zur deutschen Nationalhymne liefert: Zu einem „kroatischen Volkslied“ ließ Lechner diesen Satz mutieren, in dem er eine dissonant sich reibende Melodie an den Quartettkörper andockte und ihn immer mehr in Beschlag nahm.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 26. Juli 2014.
Ludwigsburg - „Seit Jahrzehnten blind im Dienste der Musik“, prangt auf Otto Lechners Homepage. Keine Frage: Der blinde österreichische Akkordeon-Virtuose, der unter anderem angibt, „als Kompo- und Pianist“, „in An- und Straßenbahnzügen“ sowie in „Kir- und bei Brötchen“ zu arbeiten, hat Humor. Und gute Musik macht er sowieso. Zu hören war das jetzt bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen, wo der vielseitige Langzeit-Wiener jetzt mit dem Schweizer Casal Quartett und Haydns Streichquartetten op. 33/5 und op. 76/1 im Ordenssaal auftrat.
Das Casal Quartett spielte notengetreu, mit großem Ausdruckswillen und recht homogen. Otto Lechners Akkordeon kommentierte, konterkarierte, ergänzte das Spiel des Quartetts. Weil Lechner durch und durch ein Musiktier ist, ergab sich daraus ein sehr unterhaltsamer und anregender Abend. Der Blinde hörte sich jeweils zunächst den Kopfsatz kommentarlos an, stieg dann in den langsamen zweiten ein und blieb auch im Scherzo beziehungsweise Menuett und im Rondo Haydn eng auf den Fersen. Er nutzte die Bruchteilchen von Leer-Sekunden zwischen den Quartetttönen für zarte Trillerchen, kecke Harmonien, fremde Farben, Bluenotes und nervöse Einsprengsel, reagierte mit Imitationen und exotischen Gegenstimmen, grätschte zuweilen mit melancholischen Melodiefloskeln hinein oder kadenzierte mit einem „Dadada“ auf den Lippen im bulgarischen Stil. Das gewohnte klassisch-klare Klangbild wurde dadurch eingetrübt, gleichzeitig aber auch erhellt: Denn Lechners pointierende Teilübermalung des Originals beleuchtete durchaus latent Vorhandenes, förderte tänzerische, rhythmische oder melodische Charaktere zutage, die bei Haydn unter der Oberfläche lauern.
Mitreißend auch Lechners einsätzige Akkordeon-Solo-Fassung von Haydns „Quintenquartett“, das er auf „Tauglichkeit als Tanzmusik“, mal als Tango, mal als Balkanblues, untersuchte. Und geradezu avantgardistisch wirkte die Verwandlung jenes Satzes aus Haydns „Kaiserquartett“, welcher die Melodie zur deutschen Nationalhymne liefert: Zu einem „kroatischen Volkslied“ ließ Lechner diesen Satz mutieren, in dem er eine dissonant sich reibende Melodie an den Quartettkörper andockte und ihn immer mehr in Beschlag nahm.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 26. Juli 2014.
eduarda - 28. Jul, 11:07