Dienstag, 7. September 2010

Knäckebrot statt Festmenü

Musikfest Stuttgart: Mendelssohns "Sommernachtstraum" mit dem Klavier-Duo Grau/Schumacher und Klaus Maria Brandauer

Stuttgart
- Bei einem Sommer-Musikfestival zum Thema "Nacht" darf Felix Mendelssohn Bartholdys Konzertouvertüre und Schauspielmusik zu William Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" natürlich nicht fehlen. Leider nur hatte sich die Internationale Bachakademie für die Aufführung am Sonntag im Stuttgarter Theaterhaus (aus Kostengründen?) für eine Fassung für Klavier zu vier Händen entschieden. So stand dem schauspielernden Rezitator Klaus Maria Brandauer nun kein Orchester, sondern das Klavierduo Andreas Grau und Götz Schumacher musikalisch zur Seite.

Der „Sommernachtstraum" auf Klavier? Das ist für die Ohren das, was für die Geschmacksnerven Knäckebrot bedeutet, wenn sie eigentlich ein Festmenü erwarten. Die flirrend-durchsichtige Elfenmusik, der breit aufgefächerte Farbenbogen der Instrumente, die vibrierende, dynamische Spannweite, die die Orchesterpartitur einfordert: All das lässt sich auf dem Klavier nur andeutungsweise nachempfinden. Grau und Schumacher hatten dazu noch gegen ein anderes Manko zu kämpfen: Die Akustik des großen Theaterhaus-Saales saugt, wenn dieser wie an diesem Abend bis auf den letzten Platz gefüllt ist, jegliche Aura aus den Tönen.

Dabei gaben sich die beiden Pianisten redlich Mühe, den schnellen Läufen, den geheimnisvollen Harmonien, die in das Feenreich entführen, Magie zu verleihen. Aber die blieb aus. Stattdessen: staubtrockene Klanglichkeit und etüdenhaftes Passagenwerk. Überzeugend gestalten ließen sich nur die Rüpeltänze der Handwerker, der Hochzeitsmarsch, aber immerhin auch das getragene, gefühlvolle Nocturne.

Weil sich unter diesen Umständen nur die „Eckdaten" der Partitur vermittelten, wirkte die aufgedrehte, schier purzelbaumschlagende Rezitation des österreichischen Bühnenstars Klaus Maria Brandauer oft reichlich übertrieben - ihr fehlte die satte Fülle des Orchesters als Gegenstück. Der vollbärtige, beleibte Mime trug seine selbst eingerichtete Kurzfassung des Dramas mit Inbrunst und mit jener Selbstsicherheit berühmter Künstler vor, die vom Bewusstsein getragen wird, das Publikum von vornherein in der Tasche zu haben. In jedem Wort suhlte sich Brandauer, sprang virtuos durch alle Register seiner Stimme, verlieh den Feen und Rabauken comicfigurenhafte Schärfe: Ob der tumbe Puck hechelnd Befehle ausführte, die Handwerker im schnoddrigen, gelegentlich auch mal schwäbelnden Jargon ihre "tragische Komödie" probten oder der bärbeißige Oberon sich mit der hochnäsigen Titania herumstritt. Da konnte Brandauer aus dem Vollen schöpfen: wenn er vom grummelnden Bass über unterwürfiges Kläffen virtuos ins kichernde Falsett switchte. Allein, die Wucht seiner Darstellung erschlug die Musik. Das Publikum störte dies wenig, tobte am Ende und feierte seinen Liebling mit Standing ovations.

Rezension für die Stuttgarter Nachrichten vom 7.9.2010. Das Konzert fand statt am 5.9.

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