Mal gewaltig, mal ganz zart
Der grandiose Bryn Terfel singt im Ludwigsburger Forum
Von Verena Großkreutz
Ludwigsburg - Ein Mann wie ein Baum. Eine Stimme, die dank ihrer Macht Mobiltelefone in Vibrationsalarm versetzen kann, auch wenn niemand anrief: Bryn Terfel. Der weltberühmte Bassbariton, Spross einer walisischen Farmerfamilie, war wieder einmal zu Gast bei den Ludwigsburger Festspielen und hinterließ im Forum am Schlosspark ein frenetisch jubelndes Publikum, das schon lange vor den Zugaben nur schwer im Zaum zu halten gewesen war. Die Begeisterungsschreie seines Auditoriums nutzte Terfel - da ließ sich der charismatische Spaßvogel nicht lumpen - immer wieder gerne für Witze über den riesigen Mikrofonständer des Konzertaufzeichners SWR, der Terfels hünenhaften Luxuskörper für die mittig sitzenden Zuschauer visuell halbierte. Ja, Terfel war da, die alte Rampensau. Mit einem klavierbegleiteten Liedprogramm, das an diesem Abend freilich nicht aus zart psychologisierenden Kunstliedern bestand, sondern vor allem aus handfest volksmusikalisch inspirierter Musik wie Ralph Vaughan Williams’ „Songs of Travel“. Der Opernstar pfeift ja bekanntermaßen auf die Grenzen zwischen U- und E-Musik, singt, was ihm gefällt, ob Musical, Klassik oder Folk.
Freiheit des Vagabunden
Es ist ja nicht nur diese phänomenal farbenreiche, geschmeidige, mal markerschütternde, mal herzerweichende Stimme, die fasziniert, ja hinreißt. Nein, es ist auch diese unglaublich männliche Vitalität, die sie verströmt: In den Wanderliedern von Vaughan Williams ließ Terfel den Vagabunden und seinen unerschütterlichen Drang nach Freiheit zwischen „Erdenkreis ringsum und einer Straße zum Gehen“ so lebendig werden, dass man selbst Lust bekam, stante pede seinen Rucksack zu packen, während man beim lebensermatteten Finale „Und ich habe gelebt und geliebt und die Türe zugemacht“ am liebsten losgeheult hätte wie ein Schlosshund, so anrührend und glaubwürdig brachte das Terfel rüber. Lautmalende Wortausdeutungen, mit denen seine mächtige Stimme plötzlich ganz zierlich die Vöglein zwitschern oder die Fiddel quietschen lässt, und die Lust und Wucht, mit der er die Passatwinde in Frederick Keels „Three Salt-Water-Ballads“ losbrettern lässt, machen ihn zu einem wunderbaren Geschichtenerzähler. Ob es dabei um die Sehnsüchte der Matrosen oder das spukige Seemannsgarn mitsamt seinen wilden, garstigen Hexen geht: Gänsehautfeeling ist garantiert, wenn der Mann mit dem breiten Brustkorb und sehr langen Atem seine Stimmbänder in Schwingung versetzt.
Und hat man schon je Dublins inoffizielle Hymne „Molly Malone“ derart elektrisierend gehört? Wie Terfel mit weit aufgerissenen Augen und fahler Stimme die schöne, am Fieber dahingeschiedene Fischhändlerin nun als Geist ihren Muschel-Wagen durch die Straßen Dublins schieben lässt: Das ließ so manch einen Zuhörer im Forum vor Schrecken erbleichen.
Eugene Asti, Terfels Mann am Klavier und Kumpel aus Studienzeiten, malte kongenial sehnsüchtige oder stürmische Stimmungen, tupfte helle, grelle und finstere Farben in die Tasten - kurz: gestaltete die Lied-Universen ebenso fein und plastisch aus wie der singende Kraftmensch an seiner Seite, neben dem er zwar äußerlich sehr zart wirkte, dem er aber, was die Energie und Kraft seines Tastenzaubers angeht, in nichts nachstand.
Am Tage aller Seelen
Das Duo zog dann auch nach der Pause - jetzt auch mit klassisch-romantischen Liedern - die Ohren in kollektiven Spannungsbann und ließ in Jaques-Ibert-Chansons Don Quijote in seiner ganzen Tragik auferstehen, immer umspielt von spanischen Tanzrhythmen und zarter Flamenco-Melismatik. Jetzt zeigte Terfel zudem, dass er auch zarte Liebeslieder säuseln kann (etwa Schumanns Heine-Vertonung „Du bist wie eine Blume“) und außerdem auch völlig verinnerlicht, sacht, sanft, trauernd überzeugen kann wie in Schuberts „Am Tage aller Seelen“. Mit der berühmten „Forelle“ gab es dann noch einmal ein balladeskes Leckerli, nach dessen Ende Terfel nicht umhin konnte, mit einer eindeutigen Handbewegung seinen Appetit auf das arme Tier zu bekunden, das im Lied auf so fiese Weise in die Falle gerät.
Und was tut ein Sänger von Terfels Format, wenn er ein anstrengendes Zweistundensoloprogramm hinter sich hat? Er schmettert dem Publikum noch flugs eine große, lange, teuflische Arie: „Son lo spirito che nega“ aus Arrigo Boitos Oper „Mefistofele“. Verrückt!
Kritik für die Eßlinger Zeitung vom 24. Juni 2014. Das Konzert fand statt am 22. Juni.
Von Verena Großkreutz
Ludwigsburg - Ein Mann wie ein Baum. Eine Stimme, die dank ihrer Macht Mobiltelefone in Vibrationsalarm versetzen kann, auch wenn niemand anrief: Bryn Terfel. Der weltberühmte Bassbariton, Spross einer walisischen Farmerfamilie, war wieder einmal zu Gast bei den Ludwigsburger Festspielen und hinterließ im Forum am Schlosspark ein frenetisch jubelndes Publikum, das schon lange vor den Zugaben nur schwer im Zaum zu halten gewesen war. Die Begeisterungsschreie seines Auditoriums nutzte Terfel - da ließ sich der charismatische Spaßvogel nicht lumpen - immer wieder gerne für Witze über den riesigen Mikrofonständer des Konzertaufzeichners SWR, der Terfels hünenhaften Luxuskörper für die mittig sitzenden Zuschauer visuell halbierte. Ja, Terfel war da, die alte Rampensau. Mit einem klavierbegleiteten Liedprogramm, das an diesem Abend freilich nicht aus zart psychologisierenden Kunstliedern bestand, sondern vor allem aus handfest volksmusikalisch inspirierter Musik wie Ralph Vaughan Williams’ „Songs of Travel“. Der Opernstar pfeift ja bekanntermaßen auf die Grenzen zwischen U- und E-Musik, singt, was ihm gefällt, ob Musical, Klassik oder Folk.
Freiheit des Vagabunden
Es ist ja nicht nur diese phänomenal farbenreiche, geschmeidige, mal markerschütternde, mal herzerweichende Stimme, die fasziniert, ja hinreißt. Nein, es ist auch diese unglaublich männliche Vitalität, die sie verströmt: In den Wanderliedern von Vaughan Williams ließ Terfel den Vagabunden und seinen unerschütterlichen Drang nach Freiheit zwischen „Erdenkreis ringsum und einer Straße zum Gehen“ so lebendig werden, dass man selbst Lust bekam, stante pede seinen Rucksack zu packen, während man beim lebensermatteten Finale „Und ich habe gelebt und geliebt und die Türe zugemacht“ am liebsten losgeheult hätte wie ein Schlosshund, so anrührend und glaubwürdig brachte das Terfel rüber. Lautmalende Wortausdeutungen, mit denen seine mächtige Stimme plötzlich ganz zierlich die Vöglein zwitschern oder die Fiddel quietschen lässt, und die Lust und Wucht, mit der er die Passatwinde in Frederick Keels „Three Salt-Water-Ballads“ losbrettern lässt, machen ihn zu einem wunderbaren Geschichtenerzähler. Ob es dabei um die Sehnsüchte der Matrosen oder das spukige Seemannsgarn mitsamt seinen wilden, garstigen Hexen geht: Gänsehautfeeling ist garantiert, wenn der Mann mit dem breiten Brustkorb und sehr langen Atem seine Stimmbänder in Schwingung versetzt.
Und hat man schon je Dublins inoffizielle Hymne „Molly Malone“ derart elektrisierend gehört? Wie Terfel mit weit aufgerissenen Augen und fahler Stimme die schöne, am Fieber dahingeschiedene Fischhändlerin nun als Geist ihren Muschel-Wagen durch die Straßen Dublins schieben lässt: Das ließ so manch einen Zuhörer im Forum vor Schrecken erbleichen.
Eugene Asti, Terfels Mann am Klavier und Kumpel aus Studienzeiten, malte kongenial sehnsüchtige oder stürmische Stimmungen, tupfte helle, grelle und finstere Farben in die Tasten - kurz: gestaltete die Lied-Universen ebenso fein und plastisch aus wie der singende Kraftmensch an seiner Seite, neben dem er zwar äußerlich sehr zart wirkte, dem er aber, was die Energie und Kraft seines Tastenzaubers angeht, in nichts nachstand.
Am Tage aller Seelen
Das Duo zog dann auch nach der Pause - jetzt auch mit klassisch-romantischen Liedern - die Ohren in kollektiven Spannungsbann und ließ in Jaques-Ibert-Chansons Don Quijote in seiner ganzen Tragik auferstehen, immer umspielt von spanischen Tanzrhythmen und zarter Flamenco-Melismatik. Jetzt zeigte Terfel zudem, dass er auch zarte Liebeslieder säuseln kann (etwa Schumanns Heine-Vertonung „Du bist wie eine Blume“) und außerdem auch völlig verinnerlicht, sacht, sanft, trauernd überzeugen kann wie in Schuberts „Am Tage aller Seelen“. Mit der berühmten „Forelle“ gab es dann noch einmal ein balladeskes Leckerli, nach dessen Ende Terfel nicht umhin konnte, mit einer eindeutigen Handbewegung seinen Appetit auf das arme Tier zu bekunden, das im Lied auf so fiese Weise in die Falle gerät.
Und was tut ein Sänger von Terfels Format, wenn er ein anstrengendes Zweistundensoloprogramm hinter sich hat? Er schmettert dem Publikum noch flugs eine große, lange, teuflische Arie: „Son lo spirito che nega“ aus Arrigo Boitos Oper „Mefistofele“. Verrückt!
Kritik für die Eßlinger Zeitung vom 24. Juni 2014. Das Konzert fand statt am 22. Juni.
eduarda - 25. Jun, 11:06