Samstag, 10. Dezember 2011

Meerschweinchen und Rampensau

Manuel Soubeyrand inszeniert Peter Shaffers „Amadeus“ an der Esslinger Landesbühne

Das Genie unter Beobachtung: (von links) Ulf Deutscher (Salieri), Susanne Weckerle (Lüftchen), Matthias Zajgier (Mozart), Frank Ehrhardt (Lüftchen). (Foto: WLB, Zauner)

Esslingen - Eigentlich müsste „Amadeus“, das Erfolgsstück des britischen Broadway-Autors Peter Shaffer von 1979, „Salieri“ heißen. Denn Antonio Salieri, der Wiener Hofkompositeur, der es zu Lebzeiten zu großem Ruhm und auch als Lehrer zu großer Beliebtheit brachte, ist als Erzähler des Abends nicht nur die Hauptperson, er nimmt von Anfang an subtil Einfluss auf das Publikum. Macht es zum Mitwisser am Mord am armen Mozart. Im Irrenhaus erzählt der alte Salieri seine Geschichte im Rückblick: Er, der Minderbegabte, meuchelte das Genie aus Konkurrenzneid, weil er es nicht ertragen konnte, dass jemand Melodien von so „makelloser Schönheit“ aus dem Ärmel schütteln kann. Der eigene Erfolg ist ihm nichts wert. Salieris Beichte funktioniert. Am Ende, bevor er sich umbringt, hat er jeden im Saal in der Tasche, hat sich zum „Patron aller Mittelmäßigen“ ernannt, sich dadurch gemein gemacht mit den Zuschauern - nachdem er Mozart als ein gutgläubiges, albernes, fäkalerotisierendes „Geschöpf“ bloßgestellt hat, das seine frühkindliche Analphase niemals abgeschlossen hat. Mozart habe es gar nicht verdient, von Gott mit solcher Begabung beschenkt worden zu sein.

Schon bei der Oscarpreisverleihung 1985, die die prominente Verfilmung durch Milos Forman reichlich bedachte, konnte der Salieri-Darsteller F. Murray Abraham von seiner Fieslingsrolle profitieren: Er bekam den Oscar als bester Hauptdarsteller, nicht etwa der süße Sympathieträger Tom Hulce alias Mozart.

Wie der Film, so unterstreicht auch Manuel Soubeyrands Inszenierung des „Amadeus“, die jetzt an der Esslinger Landesbühne Premiere hatte, Shaffers Charakterisierung Mozarts als albernes Meerschweinchen und bei aller Naivität und Lüsternheit auch ziemlich arrogante Rampensau, die sich auf Kosten des Konkurrenten seine musikalischen Späße erlaubt. Aspekte eines intellektuell denkenden Künstlers entfallen. Ein Tribut, das Peter Shaffer in seinem boulevardisierenden Künstlerdrama an die Geschichte zollte, die er mit Leidenschaft für die gute Unterhaltung grandios verfälschte und mit den althergebrachten Klischees vom Genie und seinem Wahnsinn garnierte. Salieri, der Berühmte, hätte es gar nicht nötig gehabt, gegen Mozart zu intrigieren und ihn am Ende gar zu vergiften.

Bei aller fehlenden historischen Korrektheit ist Shaffers „Amadeus“ aber ein gutes Theaterstück: eine Krimitragikomödie, die wie jede gute Komödie menschliche Schwächen aufs Korn nimmt und analysiert. Die Qualität des Stückes zeigt sich auch an der Esslinger Bühne: drei Stunden Theater ohne Längen oder Langeweile und eines, das an den Spieltrieb der Darsteller appelliert, der von allen Beteiligten denn auch leidenschaftlich ausgelebt wurde.

Soubeyrand setzt auf die Intimität des Kammerspiels. Die Bühne ist karg-praktikabel: verschiebbare Wände mit ein paar Türen, ein stummes altes Klavier an der Seite. Das Budget für die Ausstattung steckte Barbara Fumian vor allem in ihre Kostüme, die der adligen Galakleidung und dem bürgerlichen Sonntagsrock der Mozartzeit nachempfunden sind. Puder-Perücken weichen im Laufe des Abends dem Naturhaarzopf. Schrill dagegen Mozarts und Constanzes Klamotten, pink und paradiesvogelartig aufgeplustert. Mit seinem Verfall wird Mozart auch die Farben ablegen, seine Kleidung wird immer erdiger, fällt dennoch aus der Zeit, wenn er hippe Leinenturnschuhe trägt.

Ulf Deutscher spielt den Salieri als sehr modernen Charakter: kein gehässiger Racheengel oder vergrämter Versager, sondern ein agiler, raffiniert agierender Mobber, der das Publikum auf seine Seite ziehen will. Selbst sein Leiden an der Großartigkeit der Mozart‘schen Musik wirkt cool-analytisch, fast innerlich unbeteiligt.

Matthias Zajgier interpretiert den Mozart zunächst schrill-extrovertiert, mit dem Misserfolg durch Salieris Intrigen vergeht ihm sein kehliges Hape-Kerkeling-Pumuckel-Lachen. Überzeugend spielt Zajgier den allmählichen Verfall, zeigt hinter dem grell Verrückten bald die sensiblen Seiten. Berührend sind die letzten Liebesszenen mit Ehefrau Constanze, die von Lara Beckmann gut getroffen wird in ihrer Mischung aus jugendlicher Unbekümmertheit, Bodenständigkeit, ihrem pragmatischen Sinn für die geschäftlichen Dinge, in ihrer wahrhaftigen Liebe zum Gatten. Komödiantisch mitreißend die Nebenrollen: Nils Hillebrand als tumber Joseph II., Nikolaos Eleftheriadis als tuntiger Kammerherr, Dietrich Schulz als unbarmherziger Direktor der Nationaloper, Jonas Martin Schmid als Buchstabenfetischist van Swieten. Die beiden „Lüftchen“ (Frank Ehrhardt, Susanne Weckerle), die von Salieri ausgesandten Spione, wirken eher wie „Lüfte“, recht bodenständig als schickes Liebespaar inszeniert, das seine Erkundigungen nicht gerade heimlich einholt.

Einzig der Umgang mit der Musik ist einfallslos. Schade, dass keiner der Darsteller ein Instrument spielt. Mozarts Hits kommen vom Band. Und während Mozart dahinsiecht, dröhnt das Lacrimosa seines Requiems pathetisch aus den Boxen.

Weitere Vorstellungen: 10., 15., 27. Dezember, 24., 25. und 27. Januar, jeweils 19.30 Uhr.

Rezension für die Eßlinger Zeitung von heute. Die Premiere war am 8. Dezember.

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