Freitag, 22. November 2013

Sach' bleibt Sach'

Thaddäus Trolls „Der Entaklemmer“ im Stuttgarter Theater der Altstadt

Geiz ist ungeil: Martin Theuer (l.), Elif Veyisoglu und Dietmar Kwoka in Philipp Beckers Inszenierung des Stücks „Der Entaklemmer“. (Foto: Sabine Haymann, Theater der Altstadt)

Stuttgart - Im Gegensatz zur Komödie im Marquardt, wo man meist Honoratiorenschwäbisch hört, wird im Theater der Altstadt im Stuttgarter Westen neuerdings waschechtes Schwäbisch geschwätzt. Premiere hatte jetzt „Der Entaklemmer“, ein Lustspiel des schwäbischen Mundartdichters Thaddäus Troll, der sich 1976 Molières „Geizigen“ vorknöpfte, ihn ins Stuttgart des Jahres 1875 verlegte und dem Zungenschlag seiner Landesgenossen anpasste. Es geht mit deftiger Sprachgewalt zur Sache: „Wer in Württemberg hongert, isch z’faul zom Fressa“, stänkert der Geizige. Und sein Hausknecht lästert über den Knauserigen: „Eher kriagsch aus em tote Esel en Furz raus als aus dem en Sechser.“ Auch mit den Schimpfwörtern Brosamapicker, Schofbollekrämer, Glufamichel, Hennadrecksziager wird so mancher Reigeschmeckte Übersetzungsprobleme haben. Dennoch kommt in dieser Inszenierung jeder auf seine Kosten. Denn Regisseur Philipp Becker geizte nicht mit guten Einfällen, die den hochunterhaltsamen Abend zu einem galanten Balanceakt zwischen Kunst und Klamauk machen – inklusive seiner Perkussion-Intermezzi, in denen das Ensemble auf Alltagsgegenständen strukturiert Radau macht.

Ein bemitleidenswerter Mensch ist der „Entaklemmer“, was auf schwäbisch einen sehr knickrigen Bauern meint, der seine armen Enten, wenn sie denn den Stall verlassen wollen, in den Bürzel zwickt, um zu fühlen, ob sie ein Ei tragen, und wenn ja, werden sie in den Stall gesperrt, damit sie’s nicht irgendwo ablegen, wo der Gierige es nicht sieht. Der Troll’sche Entaklemmer ist ein schwäbischer Unternehmer der Gründerzeit, steinreich und doch lumpig, weil er jeden Taler tausendmal umdreht, eh er ihn ausgibt. Sein Vermögen hat er im Garten vergraben. Seinen Sohn habe er als Bub immer zum Mezger geschickt, um „fir en Kreizer Wurschtzipfel fir de Hond“ zu kaufen, schimpft die Dienstmagd, „ond oimal hätt er gsagt: Aber net so fett, dr Vater hot’s letzschte Mol kotze miasse“. Und was macht der „knickig Knaup“, wenn er mit einer Kerze vor dem Spiegel steht? „No feiert er de zwoite Advent.“ Aber Einsicht zeigt der Bemitleidenswerte nicht. Er bleibt auf Kurs. Bis zum bitteren Ende.

Gespielt wird der „Entaklemmer“ im Theater der Altstadt im Stil der Commedia dell’arte: Die Figuren sind typisiert, bewegen sich oft puppenartig. Die maskenhafte Bemalung der Gesichter und die Kostüme von Katharina Müller sind schrill und grotesk: Knaups Verwalter Eugen etwa trägt einen knallroten Phallus am Wams und Sohn Heiner gefällt durch seine witzige Haartolle, kurze Karohosen und Gamaschen an den Schuhen. Die quadratische Spielfläche ist angeschrägt, dem Holzgerüst drumherum fehlen die Wände, so dass man die Schauspieler nach ihrem Abtritt im Off und an den Schminkspiegeln beobachten kann. Die Bühne ist der Ring, in dem der Kampf zwischen dem Vater und seinem adolszenten, lebenslustigen und konsumfreudigen Nachwuchs ausgetragen wird, ebenso wie sich der misstrauische Pfennigfuchser ständig mit seinem Personal anlegt. Martin Theuer – mit riesigen, dachartigen Augenbrauen, in fleckigem Hemd und mit dickem Bauch – ist in der Rolle des Geizigen phänomenal – und ganz groß sein Solo: Wenn er, nachdem ihm die Geldschatulle stibitzt wurde, im Wahn am liebsten alle Zuschauer verhaften würde und auch sich selbst. Da steht er auf der Bühne und glotzt so scharf ins Publikum, dass einem richtig unheimlich wird. Und einfach herrlich, wie er sich mit seinem Sohn Heiner (wunderbar: Stefan Müller-Doriat) eine Prügelei liefert – in Slow-Motion und durch Geräuschsynchronisation getaktet.

Ob Elif Veyisoglu als Dienstmädchen Rickele, die im Ballonrock für den Zusammenhalt dieser kleinen Welt sorgt, Dietmar Kwoka als schlagfertiger Hausknecht Gottlieb oder Jörg Meyer als Knaups Verwalter, ob Kira Thomas als hippe Tochter Elise, Lucia Schlör als blonde Puppe Marianne oder Ambrogio Vinella als schwäbischer Amerikaner Hugo Hurlebaus – das Ensemble erfreute durchweg durch quicklebendiges, einsatzfreudiges Spiel.

Am Ende ist die Geldschatulle wieder da, die Erpressung des Entaklemmers gelungen. Alle sind glücklich: Sohn und Tochter dürfen endlich die Richtigen heiraten, Knaup hat seine Mäuse zurück. Ihm ist es jetzt völlig egal, dass Marianne, die er umgarnte, seinen Sohn nimmt: Denn jedes Mädle werde dereinst „wiascht“, „aber Sach bleibt Sach“. Interessant, dass das Publikum in der besuchten dritten Aufführung diesen Satz beklatschte – wobei nicht ganz klar war, ob aus Zustimmung oder gedacht als verfrühter Schlussapplaus. Denn das bittere Ende kam erst noch: Der Geizige, zärtlich seinen „Schatz“ umklammernd, stirbt – einsam und ganz ohne Triumph.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 21.11.2013. Besucht wurde die Aufführung am 17.11.

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