Mittwoch, 3. August 2011

Suboptimale Verwertung

Sebastian Baumgartens „Tannhäuser“-Inszenierung bei den Bayreuther Festspielen

Venusberg und Wartburg sind in Sebastian Baumgartens „Tannhäuser“-Inszenierung in eine futuristische Biogasanlage einbetoniert. (Foto: Bayreuther Festspiele/Nawrath)

Bayreuth − Das war noch der erfrischendste Moment in Sebastian Baumgartens „Tannhäuser“-Inszenierung, als vor Beginn des zweiten Aktes der Spruch „Wir denken nach“ auf den diversen Video-Projektionsflächen des mächtigen Bühnenaufbaus erschien und er vom Publikum nur höhnisches Gelächter und laute Buh-Rufe erntete. Dabei hat Baumgarten durchaus nachgedacht. Vielleicht ein bisschen zuviel. Es ist ja nicht einfach, ihr etwas für die heutige Zeit abzugewinnen: Wagners hanebüchener Geschichte vom Minnesänger Tannhäuser, der wegen Genusses erotischer Freuden im Venusberg bei seinen spießigen und verklemmten Rittersfreunden auf der Wartburg, die an die reine Liebe ohne körperliche Begierden glauben wollen, in Ungnade fällt, deshalb schwere Buße tun muss, um dann doch erst durch seinen Tod und den Exitus eines opferungswilligen Weibes − der spirituell etwas zu erleuchteten Elisabeth − von was auch immer erlöst zu werden. Baumgarten hat mit Verstand und viel technischem Aufwand versucht, den „Tannhäuser“ für die heutige Bühne zu retten. Das muss misslingen. Man kann die Story nicht glaubhafter machen, als sie ist.

Zu überladen mit klugen, überraschenden und kontrastierenden Videobotschaften ist die Inszenierung, zu illustrativ überfrachtet mit durchaus ästhetisch reizvollen konkreten und abstrakten Filmchen (Video: Christopher Kondek), zu häufig unfreiwillig komisch, so dass man es im Laufe des Abends aufgibt, einen Sinn hinter dem Ganzen zu suchen und sich ermattet in den harten Bayreuther Holzklappsitzen zurücklehnt.

Knallbunte Wartburg

Die beiden Wagnerschen Gegenwelten Venusberg und Wartburg werden einbetoniert in ein einziges Bühnenbild: in eine futuristische, sur­reale Biogasanlage, die der holländische Installations- und Konzeptkünstler Joep van Lieshout dem Bayreuther Festspielhaus dreistöckig und in knalligen Farben als Wartburg auf die Bühne gezimmert hat. Unten Kessel, Trichter, Gasometer, ein Alkoholator, ein Gaswäscher − alles schön beschriftet −, im ersten Stock Esstische, auf der obersten Ebene Etagenbetten. Und überall Schläuche, die Flüssigkeiten und Gase weiterleiten. Ein „Biotop aus 120 lebenden Menschen“ lebt hier, isst, schläft, atmet, arbeitet, verdaut, scheidet aus. Die menschlichen Exkremente gehen im Zuge einer „optimalen Resteverwertung“ durch Schläuche und diverse Apparaturen, um dann als Alkohol, Wasser und Biogas zu neuen Stoffen zu werden. „Ein in sich geschlossenes System“, wie es die Projektionen verraten, „die ganze Welt in einer Hand“.

Solch Werden und Vergehen prägt den ganzen Abend. Deshalb gebiert die bei Baumgarten schwangere Göttin Venus im Augenblick von Tannhäusers Tod ein Kind − wer auch immer der Vater ist. Und Tannhäuser wird damit zum Teil eines riesigen Energiekreislaufes, der ihn hervorbrachte und am Ende wieder ausspuckt. Tannhäuser: ein Rülpser der Natur. Immerhin. Man muss das loben: Der Abend ist absolut pathosfrei. Und das unterscheidet ihn angenehm von diversen anderen Wagner-Interpretationen.

Der Venusberg, das dionysische Reich der Venus, ist hier nicht märchenhafte Sphäre, sondern Teil der Verwertungsanlage, in der es zugeht wie in einem Ameisenstaat. Geschäftige Arbeitsgruppen in grellfarbiger Arbeitsmontur putzen, bringen, holen, füllen, räumen. Aber der Venusberg befindet sich dort, wo er unauffällig bleibt und übersehen wird: im Kellergeschoss oder besser in der Unterwelt. In seiner kreisrunden Verdeckelung steckt ein Trichter. Zwecks Befeuerung der Lust und der Triebe? Nur einmal wird er benutzt. Wenn Tannhäuser den Restalkohol eines betrunkenen Arbeiters dort hineinkippt.

Dieser vermeintliche Sündenpfuhl, der mehrmals aus dem Bühnenboden hochgefahren wird, ist zwar grell-rosa bestrahlt, wie es Wagner fordert. Doch erotisch anregend geht es dort nicht gerade zu: ein enger, schmuddeliger Käfig, in dem hysterische Affenmenschen herumhüpfen und Riesenkaulquappen schweratmend vor sich hindösen und gelegentlich versonnen mitschunkeln, wenn Tannhäuser seiner Venus ein Ständchen bringt (Kostüme: Nina von Mechow). Kein Wunder, dass Tannhäuser da raus will. Da bedarf es gar nicht der Anrufung der heiligen Jungfrau Maria.

Was an diesem hässlichen, lächerlichen Kerker so schockierend ist, dass Tannhäuser für seine dortige Anwesenheit so hart bestraft wird, bleibt bei Baumgarten noch unklarer als im Libretto. Dass die Triebe in der Exkrementeverarbeitungsmaschinerie in eine dunkle Ecke sublimiert werden und dass es Tannhäusers Vergehen ist, das Verdrängte ins Bewusstsein zu holen, widerspräche - übersähe man seine etwaige Ironie - ohnehin dem zu Anfang projizierten Werbe-Spruch: „Wartburg - integrierte Möglichkeiten zur Triebabfuhr“, was ja einen Besuch des Venusberges erlauben würde.

Elisabeth im Gasometer

So laufen das gut organisierte Arbeitsleben im Biogaswerk und die verworrenen Lebenswege des Tannhäuser auf der Bühne als zwei Geschichten nebeneinanderher und wollen nicht zueinander finden. Die Minnesänger singen ihren Wettstreit, die Pilger erscheinen als roboterhaft sich bewegender Putztrupp, die Arbeiter bedienen sich kräftig am Alkoholator, und Elisabeth steigt am Ende ins Gasometer, um gen Himmel zu fahren. Warum das alles in einer Biogasanlage stattfindet, erschließt sich zu keinem Zeitpunkt. Selbst Baumgartens Personenführung scheint durch die Gewalt und Statik des Bühnenbildes gelähmt zu werden, offenbart streckenweise hilflos altmodisches Rampentheater, wirkt insgesamt steif und uninspiriert.

Bleibt die Musik. Unter Leitung des Alte-Musik-Experten Thomas Hengelbrock gelingt dem Festspielorchester ein schlanker, emotional unaufgeregter und transparenter Sound. Kurz: ein zeitgemäßer Wagner, der sich in der Ouvertüre überzeugend einführen kann und in der Folge den Sängern niemals im Weg steht. Fast unauffällig gibt er sich. So ist es verwunderlich, dass man kaum etwas vom Text verstehen kann. Darauf hat Baumgarten nicht geachtet. Das ist schade, weil die Festspiele noch immer auf Übertitel verzichten. Stimmlich überzeugend sind vor allem Sopranistin Camilla Nylund als Elisabeth mit farbigem Timbre, satter Höhe und schönen Phrasierungen sowie Bariton Michael Nagy als Wolfram von Eschenbach, dessen Stimme ein weittragendes warmes Gold besitzt und deshalb mit üppiger Kantabilität berauschen kann. Lars Clevemans Tannhäuser hat beeindruckende Phasen, wirkt aber gerade in der Höhe gelegentlich angestrengt. Stephanie Friede als Venus singt im ersten Akt intonatorisch am Orchester vorbei, während Günther Groissböck als Landgraf Hermann mit wohlklingender, vibrierender Tiefe begeistert. Einen besonders dicken Applaus erntete der in allen dynamischen Lagen farbig brillante, homogene und intonatorisch erstklassige Festspielchor unter Leitung Eberhard Friedrichs. Und so mischten sich auch in dieser zweiten „Tannhäuser“-Aufführung am Ende standesgemäß wohlwollende Bravi mit verärgerten Buhs.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung von heute. Besucht wurde die zweite „Tannhäuser“-Aufführung am 1. August 2011.

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