Samstag, 1. Februar 2014

Theatraler Selbsterfahrungstrip

Kongo Müller – Im Stuttgarter Theater Rampe suchen Jan-Christoph Gockel und Laurenz Leky nach dem deutschen Wesen

Laurenz Leky vor Videoeinspielung, Foto: Andreas Zauner.

Stuttgart - Er folterte, er mordete. Und wenn er über seine "Arbeit" sprach, lachte er sich scheckig: Siegfried Müller, genannt Kongo-Müller. Deutscher Söldner in Afrika, weil die Bundeswehr den kriegsversehrten, ehemaligen Wehrmachtssoldaten nicht wollte. Mitte der 1960er Jahren an der Niederschlagung des Simba-Aufstands im Kongo beteiligt. Weltberühmt als grausame und tumbe Hauptperson von Kriegsreportagen. Ließ sich gerne im Kampfanzug samt Eisernem Kreuz interviewen. Parlierte etwa im DEFA-Doku-Film "Der lachende Mann" betrunken: "Ich gehe nicht nur ins Goethe-Institut, ich kille auch Neger."

Ja, Kongo-Müller ist nicht gerade ein Sympathieträger. Im Doku-Theaterprojekt gleichen Namens, dessen erster Teil jetzt am Theater Rampe in Stuttgart uraufgeführt wurde, werden Ausschnitte aus "Der lachende Mann" an die Wand der sonst kargen, schwarzen, nur mit Tisch, Stuhl, Moskitonetz und Matratze ausgestatteten Bühne gebeamt: "Wir haben für Europa gekämpft im Kongo, für die Idee des Westens, und zwar für Liberté, Fraternité und so weiter. Sie kennen diese Sprüche." O-Ton Kongo-Müller. Noch übler wird's einem, wenn dann gegen Ende des fast zweistündigen Abends die Erschießung eines Kongolesen durch Müllers Schergen gezeigt wird – gefilmt von Müller selbst. Finaler Schuss in den Kopf, eine riesige Blutlache, der Leichnam wird weggeschleift.

Charismatischer Selbstdarsteller

Solch Erschütterndes will nicht so recht zum Rest des eher locker gestrickten, comedyhaften Abends, einer Stückentwicklung, passen, an dem auch immer wieder Zuschauer mitspielen müssen. (Und weil Zuschauer selten wissen, was eigentlich genau geplant ist, kommt es hier zu gewissen zeitlichen Zähigkeiten.)

Zunächst ist "Kongo Müller" aber eine One-Man-Show des Schauspielers und Performers Laurenz Leky. Er ist ein charismatischer Selbstdarsteller, der sein Publikum fesseln kann. Eine gute Wahl für diesen theatralen Selbsterfahrungstrip. Ihn hätten die Deutschen, die das andere suchen und in die Welt gehen, schon immer fasziniert.

Aus dem Videotagebuch

Um dem Phänomen Müller auf den Grund zu gehen, in dessen Person sie offenbar etwas typisch und überzeitlich Deutsches vermuten, reisten Leky und Regisseur Jan-Christoph Gockel zuvor selbst in den Kongo. Die Reiseerlebnisse und die Reflektionen darüber stehen im Mittelpunkt des Abends, der getaktet wird von Ausschnitten aus dem Videotagebuch der beiden. Sie stellen Pendants her zu den Müller-Sequenzen: etwa die Aufnahmen einer von Panzerfäusten bombardierten Militäreinheit und weinenden Soldaten am Straßenrand neben brennenden Fahrzeugen und qualmenden Leichen.

Im Kongo traf man sich auch mit dem in Stuttgart geborenen Diplomaten Martin Kobler, der dort eine Friedensmission der Vereinten Nationen leitet. Warum er dort gelandet sei? "Ostkongo. 20 Jahre Bürgerkrieg, 5 bis 6 Millionen Tote. Die größte, teuerste, erfolgloseste UN-Mission aller Zeiten. Es sind ausweglose Situationen, die mich reizen."

Offene Fragen

Zwischen den diversen Videoprojektionen und Mitmachtheateraktionen quasselt Leky über sich und switcht durch die Rollen, Müller, Kobler, Fußballcoach Klinsmann und den Leiter des Goetheinstituts in Kigali karikierend – alles irgendwie "deutsches Wesen". Das deutsche Wesen sei hier und im Kongo ein und dasselbe, nur in Deutschland sehe man es nicht, weil es immer so mit Schuld beladen sei, heißt es einmal im Stück.

Das Videotagebuch dokumentiert auch Verdauungsprobleme durch Bohnenspeisen. Kongolesische Kinder kennen Namen der deutschen Fußballnationalmannschaft. "What is your intention?", fragen Afrikaner Leky und Gockel etwas irritiert in einem Theaterworkshop des Goethe-Instituts in Kingali, in dem "Kongo-Müller" Thema ist.

"Ich habe im Kongo mein Wesen gesucht. Ich habe das deutsche Wesen gesucht", sinniert Leky. Die Materialsammlung, die der Abend im Theater Rampe bietet, dokumentiert diese Suche, stellt Fragen. Mehr aber auch nicht. Antworten gibt's dann vielleicht im zweiten Teil des Projekts im kommenden November.

Rezension für Nachtkritik.de. Premiere war am 30.1.2014.

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