Montag, 28. Juni 2010

Tödliche Sippentreue

Christian Weise inszeniert „Die Nibelungen“ nach Friedrich Hebbel und Moritz Rinke am Staatsschauspiel Stuttgart

Foto: Matthias Dreher, Quelle: www.staatstheater.stuttgart.de

Stuttgart - Am Ende sind sie alle tot: König Gunther, seine Brüder Gernot und Giselher, der Intrigant Hagen. Wie alle Nibelungen. Opfer von Kriemhilds Rache und der eigenen starren Verhaltensregeln, die zu Gefolgschaftstreue und hirnfreiem Blutvergießen zwingen. Nein, frei isser nicht, der Germane.

Christian Weise hat den Tod der Nibelungen jetzt am Stuttgarter Staatsschauspiel still inszeniert. Ohne Theaterblut und großes Geschrei. Die roten Striche fügen sich die Männer selbst zu: einmal mit dem Lippenstift über die nackte Brust, dann sinkt man geschmeidig zu Boden. Hagen, den Mörder ihres geliebten Siegfrieds, nimmt sich Kriemhild persönlich vor. Da reicht ein leichter Tritt, und er kippt um, er will sowieso nicht mehr.

Im Finale seines vierstündigen Nibelungen-Abends mit zwei unterschiedlichen Bearbeitungen des Stoffes hat sich Regisseur Christian Weise „Kriemhilds Rache“ aus Friedrich Hebbels dreiteiligem Trauerspiel „Die Nibelungen“ vorgeknöpft: stark gekürzt, auf das Wesentliche reduziert. Das zuvor quirlig-klamaukige Geschehen mündet so in ein statisches, leises Ende.

Die Bühne ist jetzt leer, im Hintergrund leuchtet „Rache“ an der Wand. Die Protagonisten stehen frontal zum Publikum, in Grüppchen arrangiert, Kriemhild vorn am Mikrophon. Man bewegt sich nur noch wenig: körperlicher Ausdruck für die eigene Unfreiheit, die tödliche Sippentreue, die in den blutigen Untergang führt. Alles konzentriert sich auf die artifizielle Sprache Hebbels, die schnell pathetisch wirken könnte, wenn das Ensemble sie nicht so gekonnt dem natürlichen Sprachfluss anpassen würde. Kriemhilds Rachemonolog gelingt ohne geifernde Ausbrüche: Lisa Bitter artikuliert ihn beißend gefährlich. Die Äußerungen der Nibelungen-Männer münden immer wieder in stille Chor-Lieder - etwa in „Fremd bin ich eingezogen“ aus Schuberts „Winterreise“ oder „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“.

Im Sog des Germanen-Mythos darf auch die Romantik und ihr Topos vom Wandern nicht fehlen. Hier wie dort bewegt man sich im Kreis, der sich aber nicht wirklich schließen will, sondern in eine Straße mündet, auf der niemand zurückkehrt. Weise überrascht mit diesem Ende.

Denn davor gab's Klamauk bis zum Abwinken. Das Vorspiel: Siegfried, ein halbnackter Vollidiot mit Riesenschwert, zerfetzt die Tapetenwand, auf die zuvor ein Maler einen großen Drachen gepinselt hat. Es folgt die Siegfriedgeschichte in der Fassung von Moritz Rinke aus dem Jahr 2002. Siegfried hält am Wormser Hof um Kriemhilds Hand an, muss jedoch zuerst für Gunther die unbesiegbare Brünhild gewinnen. Interessen-Verquickungen führen zur Ermordung Siegfrieds.

Rinkes Deutung ist eine Komödie, auch ein bisschen Rittermusical, und Weise hat ihren Slapstickcharakter noch verschärft. Die Bühne von Jo Schramm verströmt Jagdschloss-Romantik mit Kuckucksuhr, Hirschgeweih und Butzenfenstern. Darin leben und wüten ein Haufen tumber Ritter-Germanen. Kriemhild ist eine pubertäre Göre, die Gunther-Geschwister schauen sich den Mythos in der Glotze an. Siegfried (herrlich: Sebastian Arranz) ist ein spanischer Macho, ein Angeber, der in seiner Komik ein bisschen an Jerry Lewis erinnert. Die Siege der Nibelungen werden mit schwarz-rot-goldener Vuvuzela gefeiert. Als Brünhild auftaucht, gibt's Zickenkrieg mit Kriemhild. Während Siegfried und Kriemhild beim Blues knutschen, gerät Brünhilds und Gunthers Tänzchen zum brutalen Ringkampf. Gunther (sehr komisch und akrobatisch: Johannes Benecke) wird von Brünhild (sehr stark: Nadja Stübiger) gar aus dem Fenster geschleudert und landet auf der Hängelampe, von der ihn Hagen (grandios finster und grübelnd: Christoph Gawenda) in einem Zehnminutenslapstick mit allerlei Gerät herunterzubekommen sucht. Das alles ist oft lustig, läuft sich aber in seiner Albernheit gelegentlich auch tot.

Sinn ergibt das erst im Zusammenhang mit der finalen Tragödie, in der des Menschen Unfreiheit zelebriert wird. Dann offenbart sich die Komödie als ein anderer Aspekt des Mythos, entlarvt die Lächerlichkeit seiner Figuren, die wie im Comic typenhaft bleiben und sich nicht entwickeln: So wie auch Dagobert Duck immer geizig und gleich alt bleibt, bleibt Hagen intrigant und Gunther schwach. Und wenn sich mal eine Figur verändert, dann allzu abrupt - wie Kriemhild vom lieben Mädchen zum fiesen Racheengel.

Zwischen Komödie und Tragödie tritt der Berliner Kultmoderator Jürgen Kuttner auf, hält einen Vortrag zum Thema Unsinn und Sinn des Mythos. Den assoziativen Quasselkanonaden, die alles miteinander verquirlen - den Euro, Stuttgart 21, Afghanistan, die Wende -, kann man nur gefühlsmäßig folgen. Es scheint, als wolle Kuttner mit seiner Rede demonstrieren, wie Mythos in seinen Augen funktioniert: als eine Montage von Floskeln, die vordergründig Sinn ergibt, die aber zu Unsinn zerfällt, wenn man sie analysiert. Garniert wird das mit alten Videofilmen, etwa einem Bundeswehrstreifen, der seine Werbung für den Starfighter absurderweise mit der salbungsvollen Rezitation des Ikarus-Mythos unterlegt.

Es ist am Ende die Mischung, die den Abend lohnend macht, weil er stets fernab von jenem Pathos bleibt, das am Stoff klebt wie ein öliger Film - nicht nur durch Wagners Vertonung. Das „Nibelungenlied“ des anonymen mittelalterlichen Dichters ist bedeutende deutschsprachige Literatur, aber „Nationalepos der Deutschen“ ist es heute zum Glück nicht mehr. Missverstanden wird es immer noch gerne - in Stuttgart aber fürs Erste wohl nicht mehr.

Rezension für nachtkritik.de und die Eßlinger Zeitung. Die Premiere war am 26. Juni 2010.

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