Sonntag, 8. Juni 2014

Vom Licht am Ende des Tunnels

Der Pianist Igor Levit ist mit 27 Jahren ein Stern am Pianistenhimmel - Auftritt bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen

Von Verena Großkreutz

Igor Levits Repertoire ist enorm, sein technisches Können und seine Ausdruckskraft sind es ebenso. (Foto: Website Levit)

Ludwigsburg - Das Klavier sei ein lebendiges Wesen, sagt Igor Levit, es habe so seine Charaktere. Es gibt Tage, da sei es gar nicht einfach mit ihm. Igor Levit gehört trotz seiner erst 27 Lenze bereits zu den ganz Großen auf seinem Instrument. Wie er denn als Kind zum Klavier gefunden habe? „Kennen Sie ‚Die Tante Jolesch‘ von Friedrich Torberg?“, erwidert er, „mein Lieblingsbuch. Da wird der Onkel gefragt, warum er die Tante geheiratet hat, und er sagt ‚Sie war halt da‘.“

Es ist erstaunlich, welche künstlerischen Sprünge der Hannoveraner mit russischen Wurzeln in den letzten fünf Jahren gemacht hat. Nicht nur, was das Farbspektrum und die Spannung seines Spiels angeht. Levit sieht das selbst auch so: Ja, da habe sich fundamental etwas geändert. Das habe auch etwas mit seiner Physiognomie zu tun. 30 Kilo hat er abgenommen. Vor allem aber mit dem Repertoire, was er spielen wolle, erklärt Levit, der im letzten Jahr sein CD-Debüt mit den drei letzten Beet­hovensonaten wagte und dafür euphorisch gefeiert wurde.

Meister der leisen Töne

Zudem hat sich sein künstlerisches Selbstverständnis grundlegend gewandelt: „Noch vor wenigen Jahren war ich einfach froh zu spielen, egal wo, für wen, wieso, weshalb. Das reicht mir nicht mehr. Das sehe ich nicht mehr als Aufgabe eines Künstlers an.“ Als ihm das klar geworden sei, vor etwa vier Jahren, habe sich alles „von links auf rechts gedreht“. Er sei sich gegenüber intoleranter geworden. Gerade in den letzten eineinhalb Jahren habe er das Arbeiten, Beobachten, Lernen, Erfahren so lieben und schätzen gelernt. „Ich befinde mich jetzt an einem Punkt, an dem ich sehr viele Kilometer entfernt das Licht am Ende des Tunnels sehe. Und das ist der Weg, den ich gehen will. Das war mir vorher gar nicht bewusst, ich brauchte das gar nicht.“

Wenn Levit spielt, Töne und Klänge formt, fixiert er meist scharf die Tasten, sitzt leicht vornüber gebeugt, und sein Gesicht verzieht sich zuweilen, als jongliere er gerade mit rohen Eiern. Der junge Pianist ist ein Meister des subjektiven Ausdrucks und der emotionalen wie intellektuellen Einverleibung jedes strukturellen Details einer Komposition. Ob Barock, Klassik, Romantik oder Neue Musik: Levit erzählt Geschichten, spricht vom Leben, seinen Abgründen, seinen Katastrophen, von Tod und Einsamkeit, aber auch von seinen Glücksmomenten und der Überwindung der Verzweiflung.

In seinen Programmen sind stets Zeitgenossen zu finden, nicht nur Wolfgang Rihm, Jörg Widman oder Frederic Rzewski. Wie andere bedeutende Solokünstler und -künstlerinnen seiner Generation gefällt er sich nicht mehr im introvertierten Wiederholen eines Standardrepertoires, sondern einverleibt sich - ob solo oder kammermusikalisch mit Freunden - alle Epochen. Jedes Werk könne seine Gegenwart widerspiegeln. „Es ist alles eins. Das eine beeinflusst das andere “, sagt er. „Nehmen Sie etwa Bachs Matthäuspassion. Ich kenne sie wirklich gut, ich weiß, was mich gleich erwartet, und trotzdem haut’s mich aus den Socken“, erzählt er begeistert, atemlos, „jedes Mal aufs Neue. Sie wird zur Gegenwartsmusik. Kunst als Interpretation der Welt, der des Komponisten und der meiner eigenen.“

Die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Musik verändert den Klang, macht subtilere Farbschattierungen möglich, fordert extreme Lautstärkenunterschiede, vor allem auch ein Superpiano. Levit ist ein Meister der leisen Töne. Manchmal bringt er die Strukturen an den Rand des Zerfallens. Das sind die Augenblicke, in denen die Zeit still zu stehen scheint und etwas nicht mehr ganz Fassbares im Raume steht. So manch einer würde sagen, da entstehe „Tiefe“. Aber Levit empfindet diesen Ausdruck genauso als „Idiotie“ wie „Marketingmaschinerie“ und „Erkundung von neuen Publikumsschichten“. Was das sei, „Tiefe“? Ein Werk erzähle eine Geschichte oder nicht.

„Ein Weltwunderwerk“

Am kommenden Mittwoch spielt der Tastenlöwe zum zweiten Mal bei den diesjährigen Ludwigsburger Schlossfestspielen. Dann ist er mit der Kremerata Baltica unter anderen in Mozarts Klavierkonzert „Jenamy“ zu hören, „einem Weltwunderwerk“, sagt Levit, „unglaublich experimentell“. Wie das eigentlich sei, inmitten eines großen Kollektivs aufzutreten? „Zum Teil ein enormes Risiko“, sagt Levit, „es gibt Unwegbarkeiten. Da muss man mit leben. Wie es dann am Ende wird, ein Kampf, Streit oder eine Umarmung, schön oder hässlich, vermag ich vorher nicht zu sagen.“

Was er glaube, worin er sich von anderen Künstlern unterscheide? „Wenn ich mein Licht am Ende des Tunnels gefunden habe, reden wir noch mal drüber.“ Wann das denn ungefähr sei? „Ich sage Ihnen Bescheid!“

Porträt für die Eßlinger Zeitung und die Südwest Presse vom 7. Juni 2014.

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