Montag, 21. März 2011

Zerfranstes Universum

„Edgar vom Stern“ an der Esslinger Landesbühne

Tobias Strobel als Edgar (vorn) und Nils Hillebrand als Lukas (Foto: Pieth).

Esslingen - Edgar, der Neue, ist ganz anders als die anderen Kinder in der Klasse. Er geht nachdenklich durch die Welt, philosophiert über das Universum, hält Vorträge über dessen Zusammensetzung, wenn die Biologielehrerin eigentlich etwas über den menschlichen Körper wissen will: „Das Universum hat Fransen. Die sind nicht schön und geschwungen wie Augenwimpern. Aber auch nicht hässlich und durcheinander wie Teppichfransen“, doziert er verträumt. „Dann endet das Universum natürlich und nicht so plötzlich. Ein Ende gibt es nämlich“. Edgar liebt die Sterne und erfindet neue Sternenbilder, gibt ihnen Namen wie „Schulmädchens Auge“. Manchmal denkt er, er sei selbst von einem anderen Stern.

Mit der deutschsprachigen Erstaufführung des schwedischen Jugendstücks „Edgar vom Stern“ für Jugendliche ab 12 Jahren von Isa Schöier ist der Jungen WLB eine bemerkenswert einfühlsame und poetische Produktion übers Anderssein, über die damit zusammenhängende Einsamkeit, über das pubertäre Gefühlskarussell und vor allem über die Freundschaft gelungen.

Denn mit Edgars Vorlieben können sowohl die Lehrerin als auch die Klasse nichts anfangen. Edgar wird schnell zum Außenseiter und Mobbingopfer. Und Lukas, der notorische Zuspätkommer und Streithahn, macht da, obwohl selbst wegen seiner geringen Größe und seiner Herkunft aus armen Verhältnissen ausgegrenzt, ordentlich mit. Gleichwohl entwickelt sich zwischen den beiden Jungen bald eine zarte Freundschaft. Aber Lukas versteht Edgar einfach nicht. Das Universum sei bloß ein Haufen schwarzer Löcher, sagt er, und nennt Edgar abfällig einen „Sternenjungen“. Und dann ist da noch Nadja, die Star-Basketballerin aus der Parallelklasse, in die sich Lukas verliebt. Obwohl Lukas als nerviger Mädchenanmacher verschrien ist, sagt Nadja Ja, als Lukas sie fragt, ob sie mit ihm gehen wolle. Aber dann weiß Lukas nicht mehr weiter. Was macht man bloß mit so einem Mädchen, wenn man mit ihm geht? Worüber spricht man? Als Lukas erfährt, dass Nadja Edgars Schwester ist, versucht er‘s über das Thema Universum. Aber da hat er bei Nadja schlechte Karten. Sie hasst nämlich das Universum. Und „besondere“ Menschen wie Edgar gehen ihr tierisch auf den Senkel.

Die Geschichte dieser emotional aufgeladenen Dreiecksbeziehung erzählt Regisseur Marco Süß in seiner Inszenierung so unterhaltsam wie abwechslungsreich. Die Ausstatterin Katrin Busching hat die Darsteller in schuluniformartige blaue Anzüge gesteckt. Die wandlungsfähige Bühne lässt sich sternenförmig ausklappen und vielseitig bespielen, drinnen ist das Schulzimmer mit Bänken und Tafel. Immer wieder wird das Geschehen mit Tanz- und Slapstickeinlagen garniert, die die Gefühlsverwirrungen der Protagonisten lustig visualisieren. Das dreiköpfige Ensemble spielt die Sechsklässler überzeugend. Tobias Strobel als ungeheuer intensiv agierenden, verträumten Edgar muss man einfach mögen. Sabine Christiane Dotzer verkörpert die selbstbewusste, schlagfertige Nadja jugendlich-authentisch. Und Nils Hillebrand als Lukas hat die Lacher immer wieder auf seiner Seite, wenn er den Satz „Es war so kalt, dass man Eiswürfel pinkeln konnte“ pantomimisch und geräuschintensiv veranschaulicht. Packend, wie sein ungeschicktes Draufgängertum am Ende in Selbstzweifel mündet.

Nachdem Lukas Edgar zu Unrecht des Diebstahls beschuldigt hat, macht er sich furchtbare Sorgen, sucht voller Angst nach seinem verschwundenen Freund und findet ihn schließlich auf dem Schuldach: frierend, verzweifelt und verstört. Da legt Lukas ihm seinen Mantel um und nimmt ihn einfach bei der Hand.

Offensichtlich konnten die Jugendlichen, die der Premiere in der Studiobühne am Zollberg beiwohnten, eine Menge anfangen mit „Edgar vom Stern“ und seiner Botschaft, dass Freundschaft eben nicht nur zum Zeitvertreib da ist, sondern auch bedingungsloses Vertrauen, Fürsorge und Loyalität einfordert - fernab aller Überlegenheitsrituale. Während der gesamten 80-minütigen, pausenlosen Aufführung herrschte gespannte Konzentration. Und auch die Erwachsenen dürften neue Erkenntnisse gewonnen haben. In Sachen Freundschaft lernt ja niemand aus.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung von heute. Premiere war am 18. März 2011.

EDUARDAS UNIVERSUM

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