Mittwoch, 9. Februar 2011

Perfekt geformte Perlen

Freiburger Barockorchester mit Bachs Orchestersuiten im Beethovensaal

Stuttgart - Das Zucken in den Füßen bleibt beim Hören von Tänzen Johann Sebastian Bachs gewöhnlich aus. Auch wenn er in seinen diversen Suiten die typischen Rhythmen, Taktarten und Charaktere zeitüblicher Volks- und höfischer Tänze beibehielt: Auf keinem Tanzboden der Welt würden sie heimisch werden. Das liegt vor allem am kunstreich polyphonen Satz, in dem die stilisierte Tanzmelodik verarbeitet wird. Funktionsmusik verwandelte Bach so in Kunstmusik.

Das Freiburger Barockorchester (FBO), Baden-Württembergs renommiertestes Alte-Musik-Ensemble, war jetzt in einem Sonderkonzert mit Bachs berühmten Orchestersuiten BWV 1066 bis 1069 zu Gast im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle. Direkt aus dem Aufnahmestudio gekommen, wo man gerade die vier Suiten für eine neue CD eingespielt hat, überließen die bestens aufeinander eingespielten 23 Musiker nichts dem Zufall, sorgten vielmehr für eine Darbietung von höchster Perfektion: punktgenau, äußerst transparent und himmlisch rein im Zusammenspiel, mit mitreißendem rhythmischen Drive und fein ausgearbeiteten Farbspielen zwischen Streichern und Bläsern. Besonders eindringlich wirkte die vollständige Durchleuchtung des Materials. Wie auf dem Silbertablett wurde jeder Satz, jeder Tanz – ob Gavotte, Bourrée oder Menuett – als strukturelles Unikum serviert und hinsichtlich seiner kunstvollen, gegenläufigen oder verschränkten Stimmführung spielerisch bis ins Detail analysiert. Und auch die plötzlichen Impulswechsel, etwa vom melancholischen Air in die quirlige Gavotte oder – wie in den Ouvertüren – von den pompös-feierlichen Grave-Teilen in die scharf punktierten Rhythmen der fugierten Allegros, gelangen bruchlos.

Während das FBO in Vollbesetzung, also in den Suiten Nr. 1, 3 und 4, den Beethovensaal klanglich gut ausfüllen konnten, verlor sich Nummer zwei – besetzt nur mit Flöte, zwei Violinen, Viola, und Basso continuo – in dessen Weiten. Da konnte auch Soloflötist Karl Kaiser nichts dran ändern, der dank quecksilbrig-fließender Läufe einen eindrucksvollen Einblick in seine virtuosen Fähigkeiten bot.

Dass die einzelnen Tänze der Suiten – auch durch gelegentlich etwas zu würdevolle Pausen dazwischen – oft das Gewicht von Sinfoniesätzen erhielten, war vielleicht nicht im Sinne des Erfinders, zeigte aber einmal mehr, dass sich der ehrgeizige Bach auch bei vermeintlich leichtgewichtigeren Projekten die erdenklichste Mühe gegeben hat, sich in Fragen der Kunstfertigkeit als äußerst gewiefter Komponist zu präsentieren.

Unter der abwechselnden Leitung ihrer beiden Konzertmeister Gottfried von der Goltz und Petra Müllejans legten die Freiburger weniger jene Seite des Barock frei, die sich in leidenschaftlicher, üppiger Prachtentfaltung offenbart, als vielmehr jene der planmäßigen Gestaltung, der klaren Proportionen und präzisen Geometrie. Dem Publikum gefiel das außerordentlich.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 9.2.2011. Das Konzert fand statt am 6.2.

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