Montag, 2. September 2013

Im Tal der Glocken

Musikfest Stuttgart: Der Pianist Herbert Schuch in der Liederhalle

Stuttgart - „Konzeptalbum“ nennt man Schallplatten oder CDs, auf denen einzelne Titel nicht für sich stehen, sondern sich thematisch aufein­ander beziehen, um so zu einem Gesamtwerk zu verschmelzen. Berühmtes Beispiel ist die LP „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ der Beatles. In der klassischen Konzerttradition ist solches synthetisches Vorgehen - trotz gelegentlicher übergreifender Thematik - nicht üblich. Zu umfänglich erscheinen die einzelnen Werke dafür, ob Sinfonie oder Solosonate. Aber auch wenn kleinere Formen zur Aufführung kommen, werden sie meist isoliert behandelt.

Was der deutsch-rumänische Pianist Herbert Schuch jetzt beim Musikfest bot, war aber im besten Sinne ein Konzeptkonzert. Unter dem Motto „Ruf der Glocken“ verband er in seinem pausenfreien Klavierabend im gut besuchten Mozart-Saal der Liederhalle romantische und impressionistische Charakterstücke, also übersichtliche pianistische Stimmungsbilder unterschiedlichster Komponisten, zu einem großen Ganzen. Nur in der Mitte gab es eine kleine Zäsur, in der geklatscht werden durfte. Ansonsten waren die Übergänge fließend, bereitete sich Schuch im letzten Takt des einen Stücks innerlich bereits auf das folgende vor, das er dann ohne Unterbrechung anschloss. Beeindruckend, wie es ihm etwa gelang, sofort von Harold Bauers romantisierender Schönklangbearbeitung der Bach-Arie „Die Seele ruht in Gottes Händen“ in die rabenschwarze Klangwelt der „Funérailles“ von Franz Liszt einzutauchen, die der Komponist 1849 als eine Art Grabrede für den verstorbenen Fréderic Chopin geschrieben haben soll. Die „Funérailles“ war das vorletzte Stück der Schuch’schen Reise durch die Seelenlandschaften eines trauernden, zweifelnden Ichs, die ihr Ziel in Maurice Ravels gewaltig donnerndem „Tal der Glocken“ hatte.

Gespräche mit Gott


Die impressionistische Klangwelt scheint dem allürenfreien, eher intro­vertiert wirkenden jungen Mann besonders zu liegen. Sein klangsuchender, sensibler Zugriff, verbunden mit großzügigem Pedalgebrauch, machte aus Tristan Murails „Abschiedsglocken, und ein Lächeln“, komponiert 1992 anlässlich des Todes des Komponisten Olivier Messiaen, ebenso pralle Farbenmusik wie aus Franz Liszts „Pater Noster“ und „Bénédiction de Dieu dans la solitude“: beides innere Zwiegespräche eines Einsamen mit Gott. Und als wolle er darauf eine Antwort finden, ließ Schuch Ferruccio Busonis Choralvorspiel zu Bachs „Ich ruf zu Dir, Herr Jesu Christ“ folgen. Wut und Abschiedstränen thematisierten dagegen Messiaens „Cloches d’angoisse et larmes d’adieu“ - komponiert im Gedenken an die Mutter. Das Konzept war stimmig, Schuch hielt die Spannung bis zum Schluss. So folgte das Publikum atemlos und unterwarf sich ohne Murren der ungewohnten Anordnung, zwischen den Nummern nicht Beifall spenden zu dürfen. Für alle Zuhörer, die das Beifallklatschen nicht uneingeschränkt als angenehmes Geräusch empfinden, war das ein weiterer Wohlfühl­effekt dieses Abends.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 30.8.2013. Das Konzert fand statt am 28.8.

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