Mittwoch, 4. September 2013

Bach geschüttelt und gerührt

Musikfest Stuttgart: „The Battle of Bach“ mit dem Peter Sadlo Quintett und der Elbtonalpercussion im Theaterhaus

Stuttgart - Wer hat den Jazz erfunden? Peter Sadlo hat die Antwort: „Bach natürlich.“ Und Sadlo muss es wissen, immerhin gehört er zu den weltbesten Solo-Schlagzeugern. Im Stuttgarter Theaterhaus, wo Sadlo am Samstagabend beim Musikfest in Wettkampf trat zu vier ebenso schlagfertigen Kollegen, untermauerte er seine kühne These vor allem in berühmten Bach-Präludien, die per se über eine perkussive Seele verfügen.

Hier lieferte er sich mit dem jungen Turiner Simone Rubino auf Marimba und Vibes wahrlich wilde Wettläufe. In rasendem Tempo tanzten und wirbelten die Schlägel über die Klangstäbe. Und das so überzeugend, dass das Publikum, was die geschichtlichen Tatsachen angeht, schon bald einer Art Gehirnwäsche unterzogen war: Na klar, Johann Sebastian Bach hat den Jazz erfunden, und das vor allem in Hinsicht auf die wundersam weite Welt des Schlagwerks.

Blues-, Swing- und Latin-Versionen

Denn unter dem Motto „The Battle of Bach“ gab es in Blues-, Swing- und Latin-Bearbeitungen von Werken Bachs und anderer nicht nur tradi­tionelle Schlaginstrumente auf die Ohren. Nein, neben Normalo-Trommeln und Congas, Holzblöcken, Zimbeln und Drumset erspähte man viele merkwürdige Zeitgenossen: etwa eine Trommel mit zwei Schallbecher-Ohren, aus deren Innern Claudio Estay grunzende und quietschende, auf jeden Fall etwas frivole Geräusche herauskitzelte.

Dann griff Sadlo zum Megaphon, um sein Klickediklack und Dumdididum mit Nonsensprosa zu veredeln. Und der Bulgare Kiril Stoyanov bearbeitete mit seinen Schlägeln die Pads eines Malletkats, eines elektronischen Stabspiels, mit dem man eine Menge Instrumente imitieren kann - von der donnernden Kirchenorgel über eine quäkende bulgarische Schalmei bis hin zum swingenden Bass. Weshalb die fünf Männer an diesem Abend auf ergänzende Band-Instrumente verzichten konnten, selbst in Chick Choreas „Spain“.

Melodisches war an diesem Abend also genauso gefragt wie Trommeldonner, etwa im verträumten, melancholischen, zart bebenden „Blues für Gilbert“ von Mark Glentworth für Vibraphon. Andreas Csok am Drumset schaute dabei immer sehr verschmitzt drein, lieferte sich Trommelduelle mit Estay, und beide garnierten das musikalische Geschehen immer wieder mit delikaten, fein ziselierten Klängen und ironisch-augenzwinkernden Pointen.

Dass die fünf Rhythmusvirtuosen unglaublichen Spaß bei der Arbeit hatten, übertrug sich bald aufs Publikum. Nicht nur für die Schweißtropfen auf der Marimba bedankte sich der volle Saal am Ende mit tosendem Applaus.

Weniger draufgängerisch und ekstatisch ging es im Spätkonzert der Elbtonalpercussion zu. Die vier crossover-geschulten Schlagwerker aus Hamburg machten gleich im Intro klar: Jetzt wird’s ernster, meditativer und subtiler. Unter den zarten Marimbaklängen, aus denen Jan-Frederick Behrend das berühmte Bach-C-Dur-Präludium strickte, wurde deswegen ordentlich geplätschert inklusive der wiederholten Versenkung eines Gongs im Wassereimer. Schließlich meint Bach ja auch Fließgewässer. Fein auch das Arrangement des Bach-Chorals „Wenn ich einmal soll scheiden“ für Schlitztrommel, Kalimba und zwei Glockenspiele oder jenes des c-Moll Präludiums BWV 999, in dem auch ein sehr langes Plastikrohr und ein Haufen Blech beteiligt sind. Es zählten nun weniger individuelle Improvisationen als das kontrastärmere Gruppenspiel, was die moderierenden Musiker selbstironisch über die sinnstiftende „gruppentherapeutische“ Ausrichtung ihres Tuns witzeln ließ. Sie seien wie jene Mönche, die auf der japanischen Insel Sado ihr Leben ausschließlich dem Joggen, Beten und Trommeln widmeten.

Radau mit Regentonnen

Im „Trio per uno“ von Nebojsa Jovan Zivkovic, in dem die Musiker ein und dieselbe große Trommel traktierten, gab es wummernde Rhythmusvariationen über einem gleichmäßigen Puls. Echte Kontraste bot vor allem das klassisch-neutönende Marimba-Konzert „The Wave“ von Keiko Abe, in dem Behrend sich virtuos profilieren konnte, während das Kollegentrio durch Schreie und robustes Schlagen der japanischen Taiko-Trommeln das Geschehen befeuerte.

In Stephan Krauses „Stomping Buckets“ dagegen arbeitete man wieder im gut koordinierten Quartett: Regentonnen dienten nun als wohlstrukturierte Radaumacher, während vier mit Buchstaben versehene Eimerchen hin- und hergeworfen wurden, bis sie endlich - ganz zur Freude des Publikums - das Wort BACH ergaben. Was allerdings ziemlich voraussehbar gewesen ist.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 2.9.2013. Das Konzert fand statt am 31.9.

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