Sonntag, 23. Februar 2014

Luzide Endlichkeit

Was für ein Wiedersehen und -hören: Sir Roger Norrington und das RSO mit einer großartigen Wiedergabe von Brahms‘ Requiem im Stuttgarter Beethovensaal

Stuttgart - „Man sagt ja immer“, witzelte Roger Norrington einmal in einem Interview, „je älter Dirigenten werden, desto langsamer werden sie. Bei mir ist das nicht so“. In der Tat: Auch im Alter von demnächst 80 Jahren ist der britische Maestro hinsichtlich gewohnter Tempi noch immer gut für Überraschungen: zu hören im jüngsten Konzert des Stuttgarter Radio-Sinfonieorchesters (RSO), an dessen Dirigierpult Sir Roger seit 2011 - dem Ende seiner Arbeit als RSO-Chefdirigent - immer wieder gerne zurückkommt. Und Stuttgart zeigte seine Freude darüber in Gestalt eines proppenvollen Beethovensaals.

Es war wunderbar, das RSO mal wieder mit dem legendären „Stuttgart-Sound“ zu hören, der nicht nur das viel gescholtene Non-Vibrato umfasst, sondern auch zügige, flüssige Tempi und vor allem eine detaillierte Arbeit an Artikulation und Phrasierung. Und das RSO hat es noch nicht verlernt: Schlank, transparent, farbenreich war der Orchesterklang, die Strukturen wurden auf diese Weise sauber herausgemeißelt, und die Form füllte sich abwechslungs- und facettenreich mit Energie und Leben.

Ein Leben, für das Brahms Requiem ja steht, das sagen will: keine Angst vorm Jüngsten Gericht, und das sich im Besingen der Vergänglichkeit menschlichen Lebens und dem Trost durch Glauben gefällt. Schon der Beginn geriet sensationell klar: Die Hörner pianissimo, leise pochende Bässe, fahl artikulierende Streicher und der sanft einsetzende Chor bereiteten den Humus, auf dem das abendfüllende Werk sich langsam und gewaltig aufbaute. Roger Norrington unterstrich nicht die ohnehin omnipräsente Diesseitsbekundung des Werks, sondern seine eher in den Strukturen steckende Transzendenz.

Meister der Tempi

Sir Rogers zügige Tempi verliehen dem Werk einen inneren Drive, dem man sich schwerlich entziehen konnte. „Denn alles Fleisch es ist wie Gras“ wurde nicht zum kitschigen, schleppenden Trauermarsch, sondern zum sorgsam aufgebauten Drama voll Spannung und Energie. Ja, Norrington rasiert dem interpretatorisch oft so streichersahnig verbrähmten Brahms-Requiem den Bart ab, und es wird schwer sein, das Werk nach diesem Abend noch anders zu hören. Im großen Streicherapparat sah man nur selten eine linke Hand zittern, stattdessen artikulierten die Bögen geschmeidig: rein, klar, mit vorbildlicher Piano-Palette. Dadurch wurde jede Holz- und Blechbläserfarbe stets deutlich hörbar, und der Klangraum weitete sich um ein Beträchtliches.

Raumweitung erzielte auch die ungewöhnliche Chor- und Solistenaufstellung: Im fantastischen Chor aus SWR-Vokalensemble und NDR-Chor standen die Männer in der Mitte, links die Soprane, rechts die Alt-Stimmen, wodurch die Fugen und andere Kontrapunktkunst akustisch glasklar gerieten, ganz zu schweigen vom wundersam schillernden und farbigen Zusammenklang.

Die beiden Solo-Stimmen waren vor dem Chor auf der Empore positioniert, was die Hörgewohnheiten in die richtige Richtung hin korrigierte: Weil es schwer ist, sich solistisch über ein großbesetztes Orchester hinwegzusetzen, hörte das Auditorium ungeheuer genau zu, was die beiden zu singen hatten: Christina Landshamer mit geschmeidiger, klangschöner Höhe, Bariton Florian Bosch ausdrucksstark und einfühlsam.

Einziges Manko des Abends: die so gut wie nicht vorhandene Textverständlichkeit. Was an sich kein Problem gewesen wäre, hätte man nicht aus unerfindlichen Gründen auf den Abdruck des eigentlich sehr knappen Librettos im Programmheft verzichtet.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 22.2.2014. Das Konzert fand statt am 20.2.

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