Montag, 24. Februar 2014

Kohlenmunk is coming home

Das kalte Herz – Armin Petras bringt Wilhelm Hauff auf die Bühne des Stuttgarter Staatsschauspiel

Wenn das Stündlein schlägt: Lokalkolorit in "Das kalte Herz" (Foto: JU_Ostkreuz)

Stuttgart - Umsonst ist nix im Leben. Erst recht nicht der Reichtum. Wilhelm Hauffs Kohlenmunk, der im Märchen "Das kalte Herz" auszieht, sein tristes, armseliges Köhlerdasein zu beenden und endlich zu den Reichen und damit Mächtigen zu gehören, muss es wissen. Mit ehrlicher Arbeit nicht zu schaffen, denkt er und wendet sich an die Waldgeister. Da hat er im sagenumwobenen, finsteren Schwarzwald der Romantik die Auswahl: Zunächst soll ihm das Glasmännlein helfen, doch er verspielt seine Chance. Dann der böse Holländermichel. Der überschüttet ihn mit Geld, aber dafür muss er ihm sein Herz lassen und bekommt eines aus Stein verpasst.

Der Kohlenmunk, nun Holzhändler und Wucherer, wird immer reicher, geiziger, grausamer und am Ende gar zum Mörder seiner Gattin. Die Moral von der Geschicht': Geld macht glücklich nicht – und versaut den Charakter.

Armin Petras hat das Märchen jetzt auf die Bühne des Stuttgarter Schauspielhauses gebracht. In Stuttgart ist es schließlich auch zuhause. Der jung verstorbene Schwabe Wilhelm Hauff ist eine der wenigen Dichterkoryphäen, mit denen sich Stuttgarts Friedhofskultur schmücken kann. Und wo würde Hauffs Märchen besser hinpassen als ins reiche, wohlständige, wirtschaftsstarke Schwabenland, wo es doch so plastisch die negativen Auswirkungen des Frühkapitalismus auf den Schwarzwald darstellt – sei es in Sachen Alkoholismus oder Familienzerstörung. Zudem sehr drastisch zeigt, was die Produktionsverhältnisse und die Gier nach Geld aus den Menschen machen können.

Volkstümliches auf der Lauer


Es ist eine bunte Mischung aus Revue, epischem Theater und durchaus kritischem Volksstück geworden – freilich ohne Dialekt oder einer entsprechenden Kunstvariante. Revue, weil der Abend lustvoll Szenen, Tableaus und Musiknummern aneinanderreiht. Episch, weil er das Publikum auf emotionale Distanz hält. Volksstück, weil er sich um die Verankerung in der regionalen Kultur bemüht: Petras hat dafür eine 30-köpfige Volkstanzgruppe aus Balingen mit an Bord geholt.

Das Herz der Inszenierung ist ein wilder Ringelreihen-Tanz zu Polka-Rhythmen. Die Tanzenden tragen schwarzwälderisch rot-weiß-schwarze Kostüme, aber nicht den berühmten Bollenhut. Und die maskierten Narren aus der alemannischen Fasnet, die sich unters Volk mischen, holen Zuschauer auf die Bühne. Folklorismus, der nicht ironisch gemeint ist, sondern ganz saftig und real das Theater mit Leben füllt. Das macht Spaß. Für solcherlei Aktion ist stets viel Platz auf der Bühne, über die auch immer wieder Geister mit wirrem, strohigem Kopfschmuck schleichen. "So ist halt der Schwarzwald" – und einer zerschlägt einen Stuhl. Im vermeintlich Volkstümlichen lauert wie bei Horvath immer auch die Gewalt. Das kündet schon das "Spiel mir das Lied vom Tod"-Mundharmonika-Solo zu Beginn an.

Meistens sorgen Videoprojektionen à la mode für Kulisse: Wald, Wald und wieder Wald, mittendrin schweben unheimliche Gespensterungetüme. Der Wald ist in der Romantik eben ambivalent: Hort der Geborgenheit, andererseits finsterer Ort der Einsamkeit, wo der Tod lauert. Das Bühnenbild ist aber enttäuschend: Videoprojektionen ersetzen wieder einmal gute theatrale Ideen, die rar sind an diesem Abend, wie die surreal riesige Kuckucksuhr, die auf die Bühne geschleppt wird und später zum Sarg umfunktioniert wird. Wirkungsvoll minimalistisch ist dagegen die Bühnenmusik, mit der der Multiinstrumentalist und Komponist Miles Perkin meist selbst das Geschehen untermalt ­– auf Kontrabass, E-Gitarre oder Kalimba.

Herzen abjagen

Johann Jürgens spielt den Kohlenmunk als recht tumben, grobschlächtigen Kindmann, der gegen den Verführer Holländermichel keine Chance hat. Während das Glasmännlein als freundlich-ironisch distanzierte Fee erscheint (Berit Jentzsch), ist Wolfgang Michaleks Holländermichel ein echter Mephistopheles, der den Ausgang des Dramas längst kennt: "Du wirst mir nicht entgehen", ruft er dem Kohlenmunk nach, der nur einmal fliehen kann. Nicht das glückliche Ende blüht dem Kohlenmunk wie bei Hauff, sondern die Höllenfahrt.

Das Märchen-Happyend – in dem der Kohlenmunk dem Holländermichel sein Herz wieder abtricksen kann – wird klug und ironisch gebrochen in einer alten, knisternden Hörspielfassung nachgetragen, im Halbdunkeln, mit dem Holländermichel auf leerer Bühne. Aus dieser Mord-Geschichte kam der Kohlenmunk nicht mehr heraus.

Michalek ist in seiner unverschämt charismatischen Differenzierungskunst immer der spielerische Katalysator auf der Bühne. Während der Saal tanzt, steht Michalek an der Rampe und improvisiert: legt einen jungen, überraschten Studenten flach, lupft den Damen den Rock, steckt sich obszön eine Wurst in den Schritt und zieht schauderhafte Grimassen. Und ist selbst in solcherlei Plattitüden saulustig. Auch wenn er mit dem Glasmännlein eine kesse Sohle aufs Parkett legt und Lou Reeds "I'm waiting for my man" ins Mikro raunt.

Armut macht nicht glücklich


Das übrige Ensemble muss sich (zu) oft heiser schreien, etwa Rahel Ohm als Kohlenmunk-Mutter. Prosapassagen des Märchens werden dagegen von Caroline Junghanns in bestechend schöner und präzise artikulierter Sprache eingebaut. Als Kohlenmunks Frau Lisbeth kann sie im Song "Dein Herz, an meinem sollt's erwarmen / Auf hundert Grade Celsius!" auch zeigen, dass sie eine wunderbare Singstimme besitzt. Lisbeth – selbst vom Eros des Geldes getrieben – bleibt stets Objekt auch des Tanzbodenkönigs (sehr fein und präzise gespielt von Christian Schneeweiß), der noch über ihren toten Körper herfällt – Männerphantasien, Macht, Ausbeutung der Frauen.

Eine der wenigen zaghaften Versuche, mit denen Petras an die genauere Analyse der schlichten Moral geht, dass Geld nicht glücklich mache, bittere Armut aber auch nicht. Ein großes Kreuz als Symbol für den pietistischen Arbeitsethos, der den Menschen dazu verpflichtet, Besitztum zum Ruhme Gottes zu vermehren, ist ein weiterer. Ansonsten bleiben viele Fragen offen – in einem freilich sehr unterhaltsamen Abend.

Rezension für Nachtkritik.de. Die Premiere war am 22.2.2014.

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