Dienstag, 20. April 2010

Grandios dirigierte Klangexplosionen

Sinfoniekonzert des Stuttgarter Staatsorchesters unter Manfred Honeck mit Walter Braunfels' "Großer Messe"

Stuttgart -
Gewaltig, ja geradezu gewalttätig war die Klanglichkeit, mit der Walter Braunfels' Große Messe in eine düstere, apokalyptische Welt entführte. Braunfels’ groß dimensioniertes Werk erklang erstmals 1927 – und bis zum letzten Sonntag nie wieder. Man kann annehmen, dass dank Manfred Honeck, dem eifrigen Wiederbeleber des ansonsten so vernachlässigten Braunfels-Oeuvres, weitere Aufführungen folgen werden.

Denn furios legten der Generalmusikdirektor und das Riesenaufgebot an Musizierenden im voll besetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle die besonderen Qualitäten des Opus frei, die sich nicht nur in rhythmisch-metrischer und harmonischer Komplexität offenbaren, sondern auch in einer aufs Äußerste gespannten inneren Dramatik. Braunfels' Messe ist ein Werk des Zweifelns, der Trauer, der Wut, aber auch der Hoffnung auf die spirituelle Kraft des Glaubens.

Braunfels – unter den Nazis verfemt und nach 1945 vergessen – schrieb das Werk in den 1920er Jahren, noch ganz unter dem Eindruck seiner furchtbaren Erlebnisse als Soldat im Ersten Weltkrieg. Dass er diese Erfahrungen offenbar in der überkommenen Gattung der Messe und einer prinzipiell nicht infragegestellten Tonalität aufgehen ließ, rechtfertigt beides: Weil es das Althergebrachte mit neuem Sinn füllt. Mit der Kirche und ihrer Liturgie hat seine Messe ohnehin nur äußerlich etwas zu tun. Wäre da nicht der abstrakte Text – man würde glauben, man hörte ein weltliches Requiem in der Folge Hector Berlioz', unter dessen Händen die Totenmesse zum Künstlerdrama mutierte. In Kyrie, Gloria und Credo zielt Braunfels' Messe auf Überwältigung wie das Dies irae und Tuba mirum: finster, erschreckend, klagend und anklagend.

Zum grübelnden, zweifelnden Chor (grandios: der Staatsopernchor, einstudiert von Michael Alber) tritt zwar im Credo als spirituelle, fast utopische Gegenstimme der klare, reine, einfache Gesang des Knabenchors (hervorragend vorbereitet von Friedemann Keck: das Collegium Iuvenum Stuttgart). Aber erst in der zweiten Hälfte der Messe hört man ungetrübte versöhnliche und kontemplative Töne: im lyrischen Offertorium etwa, im impressionistisch angehauchten Sanctus oder im trauerndem Verebben des Agnus Dei.

Die extrem komplexe Partitur für großes Orchester, Chöre, Solisten und Orgel wurde von allen Beteiligten mit bewundernswerter Sicherheit umgesetzt. Honecks angesichts der Klangmassierung sehr ruhiges, besonnenes Dirigat ließ den großen Spannungsbogen sich frei entfalten und vermittelte grandios zwischen Klangexplosionen, lyrischen Passagen und dramatischen Steigerungen. Auch die vier Gesangssolisten überzeugten: Simone Schneider durch ihren höhensicheren, farblich aufblühenden Sopran, Gerhild Romberger durch ihren vollen, warmen Alt. Matthias Klinks Tenor setzte helle, klare Linien, während Attila Juns Bass erdverbunden blieb.

Rezension für die Stuttgarter Nachrichten vom 19. April 2010. Das Konzert fand statt am 18. April.

Donnerstag, 18. März 2010

Taktvoller Panther

City of Birmingham Symphony Orchestra und Andris Nelsons in der Stuttgarter Liederhalle

Stuttgart - Mit beschwörender Gestik versteht es Andris Nelsons, sein Orchester bis in die letzten Fasern zu elektrisieren. Stets in einer Körperhaltung, als setze er gerade zum Sprung an – wie ein Panther, aber ein sehr freundlicher –, schwingt er die Arme und spielt den Musizierenden die musikalischen Charaktere auch mimisch vor. Das City of Birmingham Symphony Orchestra, am Dienstag zu Gast im voll besetzten Beethovensaal, setzte die theatralischen Fingerzeige seines jungen Musikdirektors mit Freude um und gab eine glänzende Kostprobe seines Könnens. Der Jubel, der Tschaikowskys abschließend gespielter 5. Sinfonie folgte, kam aus ganzem Herzen. Denn Andris Nelsons elektrisiert auch sein Publikum. Flirrende Spannung, brillante Orchesterfarben, plastische Formung des Materials und pointierte Artikulation machten Tschaikowskys musikalische Seelenbeichte zu einem sinfonischen Krimi mit Happy End.

Was sich als Nullachtfünfzehn-Programm angekündigt hatte, entwickelte sich im Laufe des Abends zu einem kostbaren Klangabenteuer: Schon in Mozarts eigentlich abgenudelter Don-Giovanni-Ouvertüre nutzte Nelsons die große Orchesterbesetzung, um das Opernvorspiel in eine sinfonische Dichtung zu verwandeln. Quirlige Beweglichkeit und perfekte klangliche Balance forderte der gebürtige Lette auch in Tschaikowskys Violinkonzert ein. Die Briten machten es sich im Virtuosenklassiker nicht gemütlich, sondern offenbarten sich als eigenständiger und hoch inspirierter Partner der Solistin Baiba Skride, die mit bodenständigem, kühnem Zugriff jeglichem Kitsch den Kampf ansagte. Atemlose Dramatik und wunderbar herausgearbeitete magische Momente, die Nelsons durch ungewöhnliche Verzögerungen und Farbschattierungen und extreme Dynamikunterschiede erreichte, machten hörbar, was sonst so oft in der Routine erstarrt.

Rezension für die Stuttgarter Nachrichten vom 18. März. Das Konzert fand statt am 16. März 2010.

Mittwoch, 17. März 2010

Winde der Ungewissheit

SWR-Vokalensemble Stuttgart mit Toledo-Uraufführung

Marcelo Toledo, Foto: Kai Bienert, Quelle: www.marcelotoledomusic.com
Marcelo Toledo

Stuttgart - Wer bei zeitgenössischer Musik gerne über die Abwesenheit von spezifisch sinnlicher Klanglichkeit klagt, wird im Bereich der mehrstimmigen Vokalmusik meist eines besseren belehrt. Sobald menschliche Stimmen am musikalischen Werk sind, so scheint es, ist Schluss mit sinnenfeindlicher Ratio und kühlem Intellektualismus. Selbst Cluster - Tontrauben, die in der Instrumentalmusik meist schrill und schräg klingen - erstrahlen hier in farbiger Schönheit. Das zeigen auch immer wieder die Konzerte des SWR-Vokalensembles Stutt­gart.

Betört von solch wohlklingenden Dissonanzen wurde das Ohr auch in Marcelo Toledos „En la impenetrable maraña de lo no nombrado“ (2010) für 24 Stimmen - zu deutsch: im undurchdringlichen Dickicht des Namenlosen-, welches das SWR-Vokalensemble unter Leitung von Marcus Creed beim jüngsten Konzert in der Gaisburger Kirche als Auftragswerk zur Uraufführung brachte. Inspiriert vom Wesen eines japanischen Zen-Gartens und von der „vertikalen Lyrik“ Roberto Juarroz schuf der 1964 in Argentinien geborene Komponist ein Werk, das durch sphärisch-farbige Klanglichkeit und immaterielles Heulen und Säuseln genauso in Bann zu halten weiß wie durch sakrale Tiefe, flimmernde Klangflächen und sich in sanften Strömungen auflösende Formen. Assoziationen an Gesänge von Geistern über einer dunklen Wüstenei finden in den Worten des Komponisten ihre Bestätigung: Material und Formen seien während der Komposition in einen Zustand „verstörender Körperlosigkeit“ gelangt, die wiederum den Weg eröffnet habe zu einem „ruhigen, leeren Geist, dahinsegelnd in den Winden der Ungewissheit“. Vom Vokalensemble auf allen Ebenen exzellent artikuliert, kündet diese großartige Musik von den langsam verschwindenden Grenzen zwischen Wort und Stille, Liebe und Einsamkeit, Leben und Tod.

Toledos Werk erklang im Rahmen eines Hommage-Konzertes an den 1959 verstorbenen brasilianischen Komponisten Heitor Villa-Lobos. An diesem Abend widmete sich das Vokalensemble neben dem in süßen Harmonien schwelgenden Bachianas Brasileiras Nr. 9 (1945) den folkloristisch inspirierten Kompositionen Villa-Lobos': Werken, die indianische Legenden verarbeiten, die dem improvisatorischen Arbeitsgesang von Näherinnen nachempfunden sind, denen Volkslieder zugrundeliegen. Reizvoll ist diese Musik nicht nur wegen ihrer süffigen Harmonik, ihrer kunstvollen Tonmalereien und ihrer rhythmischen Inspiration, sondern vor allem wegen ihrer verschmelzenden Einverleibung der beiden eher gegensätzlichen Gemütsverfassungen Melancholie und Witz.

Zusammen mit Solisten des Instrumentalensembles MusikFabrik wurde der Abend mit Mauricio Kagels „Schwarzem Madrigal“ (1999) zur Vollendung gebracht, in dem der Komponist als Text ausschließlich Namen afrikanischer Städte, Dörfer und Ansiedlungen verwendet hat und ihnen wahrhaft theatralisches Potential abgewinnen konnte. Martialische und monotone Gesänge, rhythmische Zwischenspiele, plapperndes Durcheinander, kurz: die beständige Veränderung der Charaktere sorgte für größtmögliche Abwechslung und Unterhaltung.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 17. März. Das Konzert fand statt am 12. März 2010.

Samstag, 13. März 2010

Flieger im Frack

Der Pianist Gerhard Oppitz in der Stuttgarter Liederhalle

Stuttgart - Vielleicht ist es ja das Fliegen, das den Pianisten Gerhard Oppitz zu einem Spiel animiert, das zumindest bei seinem jüngsten Auftritt im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle den Eindruck hinterließ, er sei an der Musik, die er gerade interpretiert, innerlich nur sehr marginal beteiligt. Als begeisterter Pilot, als der er im Programmheft beschrieben wird, genießt Oppitz offenbar des öfteren die Freiheit hoch über den Wolken, die dort bekanntlich grenzenlos ist. Da wird ihm wohl das, was sonst groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein. Das sei ihm auch gegönnt. Schade nur, dass Oppitz diese Gemütsverfassung mit in den Konzertsaal trägt.

Denn Ludwig van Beethovens "Pastorale"-Klaviersonate spielte der Hobby-Flieger absolut wolkenfrei. Das brachte ins Allegro aber auch keine klare Sicht. Zuviel Pedal vernebelte die Tonformung. Und wo blieb im Andante die Trauer, wo im Scherzo der Witz und wo im Rondofinale die eigentlich auskomponierte Gefühlsschwankung? Stoisch hielt Oppitz Kurs.

In gefährliche Turbulenzen geriet der musikalische Ikarus dann allerdings in Richard Strauss' früher Klaviersonate h-Moll op. 5. Hier schien er sein Prima-vista-Spiel ein bisschen trainieren zu wollen. Spannungsbögen und Dynamikangaben waren ihm aber Ballast. Viel zu sehr war er beschäftigt mit der Steuerung des virtuos sich aufbäumenden Materials. Für Gefühle war da keine Zeit. Und sobald das Tempo ein bisschen anzog, stotterte der Motor.

Oppitz' Spähflug über die Notenblätter brachte auch in Max Regers Klavierstücken op. 53 keine Aufklärung. Ihr Titel "Silhouetten" blieb ein Geheimnis. Da hatte es sich die Langeweile längst gemütlich gemacht im mau besuchten Beethovensaal.

Ein wenig Auftrieb erhielt Oppitz' musikalischer Erkundungsflug erst in Franz Schuberts Wandererfantasie. Aber schon bald entpuppten sich erste Anzeichen emotionaler Involviertheit als professionelle Routine. Der Münchner, der auch ein "wahrer Gourmet und Weinkenner" sein soll, machte es sich viel zu bequem im Cockpit seines Steinways und frönte einem gelassenen Segeln über die Tasten. Nervende Einheitsdynamik und gleichförmiger Ausdruck ließen vermuten, dass er in Gedanken schon längst beim abendlichen Feinschmecker-Menü weilte. Von der Tiefe und Schwere der Schubertschen Gedankenwelt, die von kalten Sonnen, welken Blüten, vom Fremdsein und von leerem Schall kündet, war an diesem Abend nichts zu spüren. Dafür müsste Gerhard Oppitz erst einmal Fahrwerk und Landeklappen ausfahren.

Überarbeitete Version meiner Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 12.3.2010. Das Konzert fand statt am 10.3.2010.

Montag, 1. März 2010

Mitsingender Tastenlöwe

Fazil Say spielt in der Stuttgarter Liederhalle

Stuttgart - Es gibt unter den vielen Stilmitteln der Rhetorik eines mit dem schönen Namen Hyperbel. Das meint Übertreibung des Ausdrucks in vergrößerndem wie verkleinerndem Sinne. Maßvoll angewendet kann man damit komische, ironische, aber auch ernste Effekte erzielen. Übertreibt man die Übertreibung, verliert man indes schnell an Glaubwürdigkeit. Das kommt einem in den Sinn, wenn man den Rezitalen des türkischen Pianisten Fazil Say derzeit lauscht. Etwa beim Konzert im vollbesetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle.

Der 40-Jährige, der sich sein Publikum nicht nur durch seine pianistischen Qualitäten, sondern auch durch seinen entspannten Umgang mit den Grenzen zwischen E- und U-Musik sowie durch gefällige eigene Kompositionen erspielt hat, kultiviert eine Vortragsweise, die sich immer stärker der Übertreibung verschreibt und damit mehr von den Werken ablenkt, als ihnen noch wirklich gerecht zu werden. Das betrifft einerseits seine Gestik: Spielt seine rechte Hand eine langsame Melodie, so begrüßt seine linke stets jeden Ton persönlich, der dem Flügel entschwebt. Diese Höflichkeitsbekundung gegenüber einer rein akustischen Erscheinung wirkt zunächst pathetisch, beim dritten Mal schon unfreiwillig komisch.

Dass man im eröffnenden Variationensatz der berühmten A-Dur-Sonate Mozarts die Vielfalt der Charaktere herausarbeitet, ist selbstverständlich. Aber Say macht aus geistreichen Bonmots einen albernden Clown, aus tänzerischer Heiterkeit einfältiges Grinsen und aus einer kleinen dunklen Wolke gleich ein ganzes Sturmgewitter. Und wenn der ohne Frage eigentlich mit Spielwitz und viel Sinn für das Lyrische ausgestattete Klavierlöwe brüllt, dann gleich so, dass außer Saitendonnern nichts mehr hörbar wird. Im ersten Satz von Leos Janáceks Sonate „1.X.1905“ zerhämmerte er auf diese Weise jegliche wahrhafte Dramatik, die sich gerade aufzubauen schien. Und den zweiten Satz „Der Tod“ kommentierte er durchweg mit so lautem schrägen Mitgesinge, dass jegliche verinnerlichte, trauernde Stimmung sofort über den Jordan ging.

In Beet­hovens Sturm-Sonate konnte man über die ständigen vokalen Äußerungen Says dann zwar hinweghören, zumal der erste Satz mit seiner durch improvisatorische Elemente aufgeweichten Faktur dem kreativen Potential des Pianisten entgegenkommt. Im Adagio aber blieb er weit hinter seinen farblichen Möglichkeiten zurück, und das Finale geriet viel zu perkussiv.

So blieb einzig und allein Says Zugabe in Erinnerung: seine Jugendkomposition „Black Earth“. Nicht unbedingt wegen ihrer balladesken, eingängigen Melodik und ihrer von der türkischen Musik und vom Jazz inspirierten Ausdruckswelt, sondern weil Say hier erstmals an diesem Abend ganz bei sich blieb: ohne übertriebene Gestik und Mimik, ohne laut mitzusingen. Sollte er seine Übertreibungskunst demnächst noch forcieren, wird sie vielleicht eines Tages auf das Publikum überspringen. Dann werden die begeisterten Fans, von denen hörbar viele im Beethovensaal anwesend waren, zukünftig wohl Rad schlagend die Liederhalle verlassen.

Artikel für die Eßlinger Zeitung vom 1.3.2010

Samstag, 27. Februar 2010

Im Bann des reinen Tons

Hilary Hahn spielte mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart in der Stuttgarter Liederhalle

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Hilary Hahn

Stuttgart - Wolfgang Rihms „In-Schrift" für Orchester von 1995 ist ein finsteres, sakrales Stück: besetzt nur mit tiefen Streichern, mit wenig Holz und sehr viel Blech, dazu kommen fünf Schlagzeuger. Helle Akzente setzen nur drei flatterzüngige Flöten, eine einsame Harfe und grelle Röhrenglöcken. Das Stück schreitet - immer wieder durchblitzt von scharfen, markerschütternden Akzenten - schwer und statisch voran und zieht in einen Hörsog albverträumter Erdigkeit. Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart (RSO) spielte das Stück am Donnerstag als Ouvertüre seines Konzerts im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle. Und stellte damit einen denkbar krassen Kontrast zum folgenden federleichten Violinkonzert des 2007 verstorbenen Gian Carlo Menotti her.

Dieser hielt sich 1952 zwar eng an die klassische dreisätzige Schablone der Gattung, aber die Fülle an melodischen Einfällen und eine erstklassige Instrumentation halten das Ohr doch in Bann. Dafür war an diesem Abend natürlich auch das von allem irdischen Grübeln losgelöste, ätherische Spiel der amerikanischen Stargeigerin Hilary Hahn verantwortlich, die das selten gespielte Konzert erstmals öffentlich gab. Hahns perfekte, lupenreine Beherrschung der hohen Lage, die entspannte Virtuosität, mit der sie rasende Läufe, Sprünge, Doppelgriffe nimmt, ist schlicht atemberaubend. Und auch ihre Zusammenarbeit mit dem RSO und dem jungen tschechischen Gastdirigenten Jakub Hrusa harmonierte perfekt.

Einzig die zum Schluss aufgeführte, spätromantische d-Moll-Sinfonie von César Franck konnte nicht ganz überzeugen. Jakub Hrusa vermittelte zwar zwischen Spannungsaufbau und -lösung und dramatischen Klangballungen, betonte aber zu sehr die pathetische Seite des Werks, was der Balance zwischen Streichern und Bläsern nicht gut tat und auf Kosten der spezifisch französischen Klanglichkeit und ihrer besonderen Gewichtung der Instrumentenfarben ging.

Rezension für die Stuttgarter Nachrichten von heute

Donnerstag, 25. Februar 2010

Die Schöne als das Biest

Wiederaufnahme von Puccinis "Turandot" in Nicolas Briegers Inszenierung an der Stuttgarter Staatsoper

Noch immer empfehlenswert: Nicolas Briegers "Turandot", Foto: Martin Sigmund, Quelle: www.staatstheater-stuttgart.de

Stuttgart - In Giacomo Puccinis Oper "Turandot" kommt der Tod nicht auf Zehenspitzen, nein, er wird grandios und in bombastischen Klangballungen in Szene gesetzt. Gleich zu Beginn gibt es eine Enthauptung: eines der vielen Opfer im tödlichen Ratespiel des männermordenden, aber schönen Monsters Turandot. Der Verlust des Kopfes ist in Nicolas Briegers Inszenierung von 1997 für die Stuttgarter Staatsoper eines der Motive, mit dem leicht und spielerisch umgegangen wird. Nicht nur, dass die abgehackten Schädel der vielen Bewerber akkurat angeordnet auf Grabplatten die Bühne dekorieren, nein, gelegentlich queren die dazugehörenden kopflosen Körper auf Rollschuhen die Bühne, oder drei Menschenpuppen spielen fröhliches Hirnkastel-Vertauschen.

Nicht nur wegen dieses skurrilen Humors wirkt Briegers "Turandot" auch 13 Jahre nach ihrer Premiere noch sehr frisch. Die Wiederaufnahme in komplett neuer Besetzung (szenische Neueinstudierung: Lars Franke) ist an der Stuttgarter Staatsoper aber vor allem auch wegen der musikalischen Qualität ohne Einschränkung empfehlenswert. Barbara Schneider-Hofstetter als Turandot, die bei Rieger als psychotische Gefangene einer dunklen Familiengeschichte in einem kubischen Glaskäfig wohnt, besticht durch ihre gewaltige Stimmfülle, die sie ohne zu forcieren gewinnt - ein Meisterinnenstück angesichts der permanent unbehaglichen Höhe, die diese Partie fordert und welche die Sopranistin sicher und geschmeidig erreicht und hält. Ihre Turandot besitzt auch stimmlich alle Insignien der Macht.

Tenor Ki-Chun Park ist ein starker Kalaf, singt strahlend, rein, extrem sicher geführt. Sein fast stählernes Timbre, dem warme Zwischentöne fehlen, passt gut zum starrköpfigen Helden, der in dieser Inszenierung das Ziel, Turandot zu erobern, eher aus Kampfeslust als aus Liebe zu verfolgen scheint: kein Sensibelchen, sondern ein selbstsicherer, stoischer Machtmensch. Die Zähmung der Turandot durch den Heldenkuss bricht Nicolas Brieger daher konsequent ironisch, in dem er das Finale zur Massenhochzeit umdeutet.

Fein auch Karine Babajanyan als Liù, die stimmlich sehr beweglich, höhensicher und mit emotionaler Kraft zu berühren weiß. Mit wunderbar warmem, anziehendem Bass­timbre gibt Publikumsliebling Liang Li den blinden Timur, und auch Miljenko Turk, Hans Kittelmann und Torsten Hofmann als die Minister Ping, Pang und Pong zeigen höchstes Niveau.

Grandios auch der charismatische Heinz Göhrig als Kaiser: Ein derart depressives Staatsoberhaupt hat die Welt noch nicht gesehen - zumindest auf der Opernbühne. Juraj Valcuha als junger Gast am Dirigentenpult animierte das Staatsorchester zu einem gut ausbalancierten Miteinander, in dem die koloristischen Raffinessen und exotischen Reize der Partitur voll zur Geltung kamen. Trotz vorgeschriebener Klangkulminationen hielt Valcuha die Lautstärken so in Schach, dass die Singenden stets gut hörbar blieben. Einzig mit den Einsätzen des Chores, der an diesem Abend der fünfzigsten Vorstellung vor allem durch mächtige Stimmgewalt punkten konnte, gab es gelegentlich Koordinationsschwierigkeiten.

Die nächsten Vorstellungen: heute und am 28. Februar sowie 3., 12., 18. und 21. März.

Artikel für die Eßlinger Zeitung vom 25.02.2010

Sonntag, 21. Februar 2010

Welt aus Blei

"Kein Schiff wird kommen" – Nis-Momme Stockmann von Annette Pullen in Stuttgart uraufgeführt

Jens Winterstein und Matthias Kelle, Foto: Cecilia Gläske, Quelle: www.staatstheater-stuttgart.de

Stuttgart - Wahrlich, unsere Zeiten sind gefräßig, rasend, nervtötend. Wir sind alle fremdbestimmt, unfrei. Nicht einmal der Theaterdichter ist mehr das, was er einmal war. Den Geniebegriff kann er sich in die Haare schmieren: Vor dem Marketingcharakter der Theaterwelt kann er nicht bestehen, wenn er sich nicht anpasst. Was er schreibt, bestimmt nicht er, sondern Dramaturgen, Intendanten und Lektoren. "Welthaltig", "nachhaltig" sollen seine Stücke sein. Und worüber soll er schreiben im Jahr 2009? "Von überall schreit es her: Wende Wende Wende. Überall spukt der Geist der Wende. Und ich glaube nicht an Gespenster. Kein kalter Hauch, kein Schaudern überkommt mich. Nichts. Nur leere Worte – du musst du musst du musst."

So zumindest geht es dem jungen, wütenden Theaterautor in Nis-Momme Stockmanns neuestem Stück "Kein Schiff wird kommen", das am Freitag im Depot des Staatstheaters Stuttgart zur Uraufführung gebracht wurde. Es ist erst das dritte Stück des 28-jährigen Stockmann, und schon bricht es heraus aus ihm: ein Überdruss an den Gegebenheiten und an der Unmöglichkeit, in dieser Gesellschaft zu sich selbst zu finden. Der Dichter in seinem Stück will ja nicht für die Schublade produzieren, sondern Cash machen. Und so verhält er sich normgerecht und schreibt über die Wende und damit über etwas, das ihn eigentlich nicht die Bohne interessiert. Aber das Thema führt ihn bald zum wesentlichen Kern seines Ichs: zu seiner eigenen verdrängten Familientragödie.

Worte des Vaters an das ewige Kind

"Kein Schiff wird kommen" ist weniger ein Theaterstück als vielmehr ein Bericht über die Entstehung und finale Verwerfung eines solchen. Natürlich auch die Geschichte einer Vergangenheitsbewältigung, an deren Ende die Selbstbefreiung steht. Es ist kein Zufall, dass "Kein Schiff wird kommen" auch als Hörspiel produziert wird. Es verarbeitet viel Text. Es ist ein pointenreiches, klug aufgebautes Stück, das Sprache phasenweise appetitlich zubereitet auf einem goldenen Tablett serviert und die Sinne erfreut. Dialogszenen werden geschickt implantiert in den übergeordneten Erzählbericht des Protagonisten, der jede Impression, jeden Gedankenfetzen, jedes Gespräch wie ein Journalist auf einem Diktiergerät aufzeichnet und auch das Abhören desselben virtuos in den Plot einarbeitet: Ein gekonntes Vexierspiel mit der Fiktion des Geschriebenen und der Realität des darin Erzählten.

Natürlich ist der anonyme Autor auch ein bisschen Stockmann, der in seinem Stück Biographisches mit Erfundenem verbindet. Um sich dem Thema zu nähern, beginnt sein Protagonist seine Recherche auf der Nordseeinsel Föhr, wo er (wie Stockmann) aufgewachsen ist. Dort befragt er seinen Vater: Wie die Maueröffnung auf der Insel, so weit weg von der damaligen Grenze, wahrgenommnen wurde. Er selbst war zu diesem Zeitpunkt erst fünf Jahre alt, kann sich an nichts mehr erinnern. Auch der Vater hat dazu nicht viel zu sagen, ohnehin nervt man sich vor allem an. Der Rückfall in alte Strukturen, wenn sich Nachwuchs und Eltern begegnen, das kennt man: Die wohlmeinenden Worte des Vaters an das ewige Kind rufen beim Sohn Aggressionen hervor. Der klugscheißende Sohn aus dem hippen Berlin fühlt sich dem bodenständigen Vater haushoch überlegen, muss dennoch bemerken, dass dieser ihn ebenso durchschaut. Man säuft gemeinsam den Frust nieder. Sieben Kästen Flensburger stehen drohend auf der Bühne.

Wild, wütend, klagend

Die Aggression und Larmoyanz des Sohnes beginnt langsam gehörig auf den Wecker zu gehen, da passiert es. Verdrängtes bricht sich Bahn. Der Vater berichtet stockend, was ihn zu Wendezeiten wirklich beschäftigt hat: Der Tod der Mutter. Ein Thema, was bis dahin von beiden totgeschwiegen wurde. Ein verschüttetes Kindheitstrauma bricht auf. Der Sohn erinnert sich: Die Mutter, geisteskrank, wahnsinnig geworden, wurde vom völlig überforderten Vater in das Zimmer des Sohnes gesperrt. Ihr Sterben ein Trauma: "Die Welt steht still, als wäre sie aus Blei."

Die Inszenierung von Annette Pullen vertraut ganz auf die fantastischen Fähigkeiten des Ensembles. Immer unter Hochdruck, wild, wütend, klagend und riesige Textmengen verarbeitend: Matthias Kelle als junger Schriftsteller. Sehr authentisch und glaubwürdig: Jens Winterstein als Vater. Und virtuos zwischen den unterschiedlichsten Charakteren hin- und herswitchend: Lisa Wildmann als Alter Ego des Autors, als Mutter, als Intendant. Ein Sofa, ein auseinander- und zusammenfaltbares weißes Stoffzelt, aus dem sich schnell allerlei Räume zusammentakeln lassen – das ist alles, was der spannende Theaterabend zusätzlich braucht (Bühne und Kostüme: Iris Kraft).

Etwas nervend gestaltete sich die häufige Untermalung der Monologe des Erzählers mit hippen Popklängen. Den Abend etwa mit dem wunderbar melancholischen Song "Worried shoes" von Daniel Johnston zu eröffnen und zu beenden, dagegen ist an sich nichts einzuwenden. Allerdings erklang das geglättete Cover aus dem Soundtrack zum Film "Wo die wilden Kerle wohnen" und leider nicht die schräge Originalversion mit Akkordeon. Die hätte doch viel besser zum Stück gepasst. Und der Kitsch wäre zu Hause geblieben.

Rezension für www.nachtkritik.de

Samstag, 20. Februar 2010

Abschied von einem Philosophen

"Professor Lear" – Joachim Zelters Stück über das Altwerden im Zimmertheater Tübingen

Tübingen - "Professor Lear" ist ein gemütlicher Titel: Klingt vertraut und setzt doch Assoziationen in Gang. Ein Zwitter aus Professor Unrat und König Lear? Nein, mit beiden hat Joachim Zelters so benanntes Stück, das am Donnerstag im Zimmertheater Tübingen in der Regie von Theaterleiter Christian Schäfer zur Uraufführung kam, so gut wie nichts zu tun.

"Professor Lear" entpuppt sich schon bald als irreführender Titel. Denn Professor Lear ist Professor Eiger, und der hat seine eigenen Probleme. Sitzt zu Beginn des Abends stumm und schwachsinnig vor seiner Schreibmaschine und starrt Löcher ins Papier. Kann nicht mehr schreiben. Die Worte sind ihm abhanden gekommen. Und damit auch die Welt. Professor Eiger ist dement.

Zelters Stück erzählt in Rückblenden den Grund dafür: Eiger, der als Philosophieprofessor hochdekoriert in den Ruhestand ging, hat offensichtlich nicht verkraftet, dass er schon bald von Kollegen, Assistenten, der Fachwelt, vergessen wurde. Bei seiner festlichen Verabschiedung an der Universität noch als "Eiger-Nordwand des Denkens" hofiert, kann er mit seiner ersten Ruhestandsarbeit, einem neuen Platon-Buch, keinen Eindruck mehr schinden. Für seine Schrift über den "Schönen Tod" findet er dann nicht einmal mehr einen Verleger. Der Körper ist willig, der Geist wird schwach: Ohne gesellschaftliche Reputation erlahmen ihm die Gedanken.

Sprach-, Zeit- und Raumverlust

Die Schreibmaschine will nicht mehr so, wie er es will, die Bücher werden ihm zu abstrakten Gegenständen, die Buchstaben verhakeln sich auf ihrem Weg zur Zunge, er verliert jegliches Zeitgefühl. Eiger wird triebhaft und kindisch. Seiner liebend-lobenden Mustergattin geht er bald gehörig auf den Wecker, während seine Enkelin, benannt nach der guten Lear-Tochter Cordelia, im immer tumber werdenden Alten eine neue Lebensaufgabe entdeckt und ihn einfühlsam bemuttert.

Ei der Daus, denkt man, das ist aber eine fixe Verwandlung vom anarchisch-nervenden Teenager zur treusorgenden Enkelin. Hat da die Großmutter recht, die in der plötzlichen Fürsorglichkeit der konsequenten Bildungsverweigerin, die die Schule "mitten in einer Mathearbeit" schmiss, den Triumph eines "privaten Siegs über den Intellekt" vermutet? Eine solche Fiesheit wäre interessanter Stoff für die Rollenauslegung gewesen. Aber Hannah Kobitzsch als Cordelia wurde vom Regisseur zu solchen charakterlichen Finessen nicht animiert. Sie wird tatsächlich richtig lieb. Da hat sich das Potential des Stücks aber längst schon erschöpft.

Parodie auf den Universitätsbetrieb


Man merkt Zelter seine Aversion gegen den Universitätsbetrieb, den er selbst 1997 verließ, um sich ausschließlich dem Schreiben zu widmen, zu deutlich an. Seine Bühnenfiguren wirken so schablonenhaft wie auf dem Boulevard: der schleimige Professorenassistent und -aktentaschenträger (Moritz Peters) – der ein Abziehbild dessen ist, was jeder kennt, der einmal eine Universität besucht hat – genauso wie der aalglatte, wichtigtuerische Karriereprofessor Mönch (Robert Arnold). Und leider betrifft das auch die Titelfigur: Der eitle Eiger ist nicht wirklich ein Geistesmensch, sondern ein hohler Phrasendrescher: "Ich bin Philosoph. Ich beschäftige mich mit Ideen. Philosophie ist der Triumph des Gedankens über den Körper. Besser ein toter Philosoph als ein nicht mehr denkender Philosoph usw."

Und einer, der schnell lächerlich wirkt in seiner weltfremden Verschrobenheit, was auch sein spießiges Bühnen-Zuhause, ein Wohnzimmer, ausstaffiert mit Nachkriegsmöbiliar, Erstausgaben-Regal und Gummibaum, nicht besser macht (Bühne und Kostüme Hella Prokoph). Seine Herrschsucht will nicht verschwinden mit der Demenz: Er artikuliert sich vor allem durch hysterisches Gebrülle. So verwandelt die Krankheit mit Eiger keinen hochgeistigen Menschen in einen schwachsinnigen: Ein hohler, selbstherrlicher Phrasendrescher, der seine Sprache verliert, ist nicht wirklich tragisch.

Bis zuletzt im eigenen Haus

Eiger fehlt die Fallhöhe und die Entwicklungsfähigkeit eines Lears, ist eher einer, der vor allem an seiner eigenen Beschränktheit zugrunde geht. Der Stücktitel aber weckte andere Erwartungen. Und auch die Realität hat mehr tragisches Potential zu bieten mit ihrem Tübinger Rhetorikprofessor Walter Jens. Zudem bleibt Vilmar Bieri in der Rolle des Eiger oft an der komödiantischen Oberfläche. Eine glaubwürdige, berührende Darstellung des langsamen geistigen Verfalls gelingt ihm nur ansatzweise. Er bleibt meist viel zu sehr bei sich.

Aus ihrer Schablone ausbrechen kann nur Nicole Schneider als Philosophengattin. Als Herrin über Frühstückstisch, Gummibaum und Staubwedel hat sie eigentlich die langweiligste Rolle, aber es gelingt ihr, dem Charakter des vermeintlich bekloppten Hausmütterchens eine ordentliche Portion an berechender Kälte zu verpassen. Eigers Ruhm war und wird wieder ihrer. Da ist sie sich sicher. So verrät auch ihr Schlusssatz - "Wir haben in diesem Haus vierzig Jahre gelebt. Wir bleiben" - eine gewisse gewalttätige Unerbittlichkeit und keinesfalls naive Nostalgie.

Rezension für www.nachtkritik.de

Dienstag, 16. Februar 2010

Orpheus darf nicht singen

Festival Eclat: Doppelte Einsamkeit zum Auftakt - Beat Furrers Musiktheater „Begehren“ und Frieder Nahowski-Marienthals „Danach“ im Stuttgarter Theaterhaus

Begehren ohne Ekstase: Beat Furrer leitet das Ensemble Modern (Foto: Gericke)

Stuttgart - Ist die zeitgenössische Kunstmusik eine Nischenkultur? Beim Neue-Musik-Festival Eclat hatte man jetzt einen anderen Eindruck. Viele Veranstaltungen waren proppenvoll, der große Saal des Stuttgarter Theaterhauses mit seinen 700 Plätzen war beim Eröffnungskonzert am Freitag so gut wie ausver­kauft. Was für die Veranstalter - Musik der Jahrhunderte - ein Segen war, bereitete Beat Furrers Musiktheaterstück „Begehren“ von 2001 allerdings akustische Probleme. Die vielen Menschen nahmen den Schallwellen den Raum zur freien Entfaltung, so klang oft eigenartig stumpf und gedämpft, was da von der Bühne tönte. Am Pult des Ensemble Modern und des SWR-Vokalensembles stand der Komponist selbst.

Furrer verarbeitet in „Begehren“ den Orpheus-Mythos und damit den Urstoff der Oper. Denn der thrakische Singer-Songwriter avancierte dank der rätselhaften Macht seines Gesanges zu einer Art Schutzheiligem der Oper, galt es doch zunächst einmal, das gesungene Wort auf der Bühne zu rechtfertigen. Aber Furrer verweigert sich dem Mythos. Orpheus (Torsten Müller) darf nicht singen, nur sprechen und atmen. Singen muss Euridike (Petra Hoffmann), gelegentlich sogar in Koloraturen. Doch auch ihre Sprache schnurrt immer wieder zusammen auf einzelne Konsonanten. Das Paar kann zueinander nicht finden. „Deine Einsamkeit verdoppelt die meine“, äußert Euridike einmal. Die Musik gerät beständig in den Grenzbereich von Sprache und Gesang, auch beim Chor (professionell: das SWR-Vokalensemble), der in griechisch-antiker Manier kommentiert. Das Libretto ist aus Textfragmenten von Ovid bis Günter Eich kompiliert, die im Theaterhaus freilich selten zu verstehen waren. Es funktioniert rein assoziativ, will keine Handlung darstellen. Es geht um wenig fassbare Zustände eines suchenden Verlangens, das niemals Erfüllung findet.

„Begehren“ wurde - schon aus finanziellen Gründen - konzertant aufgeführt. Aber was genuin als Musik für das Theater gedacht ist, verblasst schnell, wenn ihm die szenische Aktion fehlt. Gerade im Falle Furrers. Seine Theatermusik ist kontrastarm, entwicklungsfrei, kreist in sich und besteht vor allem aus nervös vibrierenden Klangnetzen. Sie hat Eruptives, Ekstatisches oder Pulsierendes nur punktuell zu bieten (phänomenal: das Ensemble Modern). Sie müsste durch Bewegung auf der Bühne kontrapunktiert werden, um über 100 Minuten lebendig zu bleiben. Zur Kontrastierung des Stehtheaters hatte man zwar die Installationskünstlerin Rosalie beauftragt: Lichtquader stapelten sich auf der Bühne, die allerlei Bonbon-Farben verstrahlten und ab und zu hektisch aufblinkten, wenn die Musik sich einmal grell zusammenzog. Aber dieses poppig-schrille Aufgebot wollte nicht so recht zu dieser verstörten, fragilen, introvertierten Philosophenmusik passen.

Dass den 10 Szenen in der Stuttgarter Aufführung Passagen aus dem Briefwechsel Ingeborg Bachmanns und Paul Celans (gelesen von Sibylle Canonica und Stefan Hunstein) zwischengeschaltet wurden, kam der Unterhaltung durchaus entgegen. Wenig neue Aspekte steuerte dagegen das anschließend uraufgeführte Schauspiel bei (Regie: Thierry Bruehl). In Frieder Nahowski-Marienthals „Danach“ offenbart ein Ehepaar (Canonica, Hunstein) seine verdoppelte Einsamkeit und den Verlust seiner Sprache, indem es mithilfe von sinnentleerten Literatur-Zitaten streitet. Dazwischen überraschten Einspielungen tumultuöser Collagen aus Fetzen klassischer und romantischer Musik.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 15.2.2010

Donnerstag, 11. Februar 2010

Harmonie der Gegensätze

Daniel Smutny erhält beim Eclat-Festival den Kompositionspreis der Stadt Stuttgart

Stuttgart - In der heutigen Kunstmusik ist kompositorisch so gut wie alles erlaubt. Die heißen Gefechte um Stil, Schule und Technik sind längst Geschichte. Kaum etwas kann wirklich noch schockieren. Im Nebeneinander unterschiedlichster Stile haben es junge Komponisten schwer, sich zu orientieren, ihren eigenen Weg zu finden. Nicht so Daniel Smutny. „Ich bin damit groß geworden, dass es diese eine, eindeutige Musiksprache nicht gibt“, sagt der 33-Jährige, „die Vielfalt stellt für mich keine große Irritation dar. Man muss eben mehr auf sich selbst hören“. Smutny versteht sich nicht als typischer Avantgarde-Komponist, vielmehr als postmoderner Branchenüberwinder. Er habe sich in den letzten Jahren sehr verzweigt bewegt: zwischen Klangkunst, Pop-Elektronik, klassischer und zeitgenössischer Musik.

Smutny kommt gerade von einer Probe des SWR-Vokalensembles, das sein Werk „Velouria“ einstudiert, das am morgigen Sonntag beim Neue-Musik-Festival Eclat im Stuttgarter Theaterhaus uraufgeführt wird. Dem gebürtigen Mannheimer wird bei Eclat auch der Kompositionspreis der Stadt Stuttgart verliehen - bereits zum zweiten Mal. Diesmal für sein Streichquartett „So zaghaft diese Worte der Nacht“. Smutny ist mitteilsam, genießt das Reflektieren über sich, seine Werke und seine Position in der Gesellschaft. Er mag „den Elfenbeinturm“ nicht, würde mit seiner Musik gerne in der Mitte der Gesellschaft stehen.

Schon mit 14 Jahren war ihm klar, dass er Komponist werden will. Das war keine einfache Situation, wurde er doch hineingeboren in eine Arbeiterfamilie. Er sei der erste gewesen, der studiert habe. Auch der Musikgeschmack seiner Eltern sei nicht gerade bildungsbürgerlich gewesen: „Wenn die Rock-Pop-Welt schon besetzt ist durch die Eltern, was bleibt einem denn dann in der Jugend?“ Smutny nahm mit seiner klassischen Musikausbildung eine frühe Gegenposition ein, erhielt Klavier-, Gesangs- und Theorie-Unterricht an der Musikschule seiner Heimatstadt Ludwigshafen. Nach der Schule folgte das Kompositionsstudium bei Hans Zender in Frankfurt. Geweckt wurde sein kompositorisches Interesse zunächst durch Händels „Messias“. Der junge Smutny stand im Chor. „Die Massivität des Klangs und das Gefühl, Teil eines musizierenden Raumes zu sein, waren eine so überwältigende Erfahrung, dass ich anfing, das zu imitieren“, sagt Smutny im Rückblick. Um Musik verstehen zu lernen, quartierte sich der 15-Jährige bis zum Abitur „fast täglich“ in der Stadtbibliothek ein, studiert Partituren, hört Musik. Das hat ihn geprägt: „Ich hatte nie das Gefühl, mich querbeet durch eine Entwicklung von Musik zu begeben; es war die permanente Präsenz aller Musik in einem Regal. Alles war gleichermaßen gegenwärtig und zugänglich.“ So geht es Smutny, der seit zehn Jahren in Leipzig lebt, heute um eine Klanglichkeit, die möglichst vielfältige Bezüge und gegensätzliche Materialien zulässt. In seinem prämierten Streichquartett hat er freilich ein anderes Ziel verfolgt: Klang einmal als rein physikalisches Phänomen zu betrachten, nicht als Musiksprache. Ein Antistreichquartett sei das, in dem das klassische Vorbild als Folie aber mitgedacht werde, erläutert Smutny.

Das Wort Klassik taucht in Smutnys Rede auffällig oft auf - immer nur im Sinne von „Harmonie des Gegensätzlichen, des Besonderen im Allgemeinen“, wie er betont. Aber bei all seiner Liebe zum gegenwärtigen Stilpluralismus scheint sich darin doch auch eine Sehnsucht widerzuspiegeln nach „dieser einen, eindeutigen Musiksprache“.

www.eclat.org

Porträt für die Eßlinger Zeitung / Stuttgarter Nachrichten

Freitag, 5. Februar 2010

Arkadien ist abgebrannt

„La Calisto“ im Wilhelmatheater: Die Stuttgarter Opernschule verwandelt Cavallis frühbarockes Stück in handfest aktualisiertes Regietheater

Gewalt im Spiel: Wenn Götterboss Jupiter die schöne Calisto begehrt, ist das kein holdes Rendezvous. (Foto: Renner)

Stuttgart - Der arkadische Wald, in dem Francesco Cavallis frühbarocke Oper „La Calisto“ spielt, ist auf der Bühne des Stuttgarter Wilhelmatheaters weggebombt. Nur noch ein paar Holzbalken und Baumstämme liegen in der kriegszerstörten Wüstenei. Göttervater Jupiter, der das zu verantworten hat, ist ein machtgeiler, tumber, selbstherrlicher Feldherr in Uniform, und die schöne Nymphe Calisto erst Widerständlerin, dann sein Vergewaltigungsopfer. In den Händen des zerstörerisch liebenden Olympiers wird sie langsam zermalmt, ihres Ichs beraubt. Am Ende ist sie nur noch eine grinsende, fremdgesteuerte Puppe. Jupiters williger Vollstrecker Merkur hilft bei den Demütigungen und Folterungen kräftig mit, während Jagdgöttin Diana und der Hirte Endimione desorientiert und unbehaust im Kriegsgebiet herumirren. Die Kumpanen Pan und Silvano wirken nicht weniger verloren, geben ihre erlebten Demütigungen aber an den noch schwächeren Hirten weiter. Die Welt ist aus den Fugen, dem Untergang geweiht. Der Mensch ist Freiwild oder Barbar.

In der neuesten Produktion der Opernschule der Stuttgarter Musikhochschule ist dem Regieteam und dem äußerst spielfreudig agierenden Ensemble ein kleines Wunderwerk gelungen. Aus der venezianischen Oper von 1651, in der es um verwirrende erotische Intrigen-, Macht- und Verwechslungsspiele geht, ist ein stringentes, gelegentlich schwarzhumoriges Anti-Kriegsstück der Gegenwart geworden.

Vorgeführt werden die Verquickung von Sexualität, Macht, Gewalt und Krieg, die Instrumentalisierung der Medien und die Prägung der Öffentlichkeit durch die gelieferten Bilder. Dafür wurde die Oper einerseits vom Regisseur Marco Storman, dem Dirigenten Michael Klubertanz und der Dramaturgin Angela Löer kräftig und intelligent bearbeitet, andererseits setzte man in Kooperation mit dem Studiengang Figurentheater kreative Kontrapunkte zur Ausstattung von Kersten Paulsen: Ein Team von vier Figurenspielern (Leitung: Werner Knoedgen und Sylvia Wanke) filmt an seitlich sichtbaren Miniaturbühnen mit einer Live-Kamera düstere Szenerien, die auf einer Leinwand im Hintergrund das Geschehen kommentieren: Soldatenpuppen fliegen in Zeitlupe durch die Luft, eine Wohnung wird durch Bombeneinschläge erschüttert, brennende, zerklüftete Landschaften tun sich auf.

Neben diesem verfremdenden Spiel mit Materialien, in dem eine Schreibtischlampe schnell zur Straßenlaterne und ein bisschen Puder zu dichtem Schneegestöber mutiert, verwandeln sich die Figurenspieler immer wieder in ein TV-Kamerateam, das Merkur die nötige Bühne für seine propagandistischen Reden bereitet, das dem Opfer Calisto auf den Leib rückt, die Gefangene flugs zum Teil eines fähnchenschwingenden Jubelvolks umfunktioniert oder die nunmehr Willenlose mit Leuchtstäben in marionettenhafte Bewegung versetzt.

Marco Stormans Inszenierung spielt mit der Macht und Austauschbarkeit jener Bilder, die uns täglich medial überfluten, und setzt dadurch unbegrenzte Assoziationen in Gang: an Guantánamo, an den Hindu­kusch, an Entführungen und Attentate, ja selbst an den Kerker Natascha Kampuschs. Wenn Merkur der gefesselten Calisto einen Blecheimer auf den Kopf setzt und diesen mit dem Gewehrkolben wegschlägt, als sei er ein Golfball, denkt man erschüttert an Abu Ghoreib, während der mit Plastikwasserflaschen vollgepackte Wagen an Bilder aus dem Erdbebengebiet Haiti erinnert, wo Menschen sich verdurstend um die ersehnte Lieferung prügeln. Und warum verweist das grandios-zynisch inszenierte Jubelfinale, das gleich nach den Suiziden der Jupiter-Gattin und des Liebespaares ­Diana und Endimione auf einer Varietébühne stattfindet, auf öffentliche Auftritte Silvio Berlusconis? Wohl nicht nur wegen der vier Blondinen in Glitzerkleidern, sondern vor allem wegen der unerträglichen Verlogenheit dieses Spektakels.

Michael Klubertanz am Dirigierpult hält die locker gefügten Szenen aus geschmeidigen Dialogen, rezitativischen Monologen und kantablen Ariosi in Fluss und ließ sich auch nicht durch die eingespielten Bombendetonationen aus der Ruhe bringen. Das darstellerisch durchweg mitreißende Ensemble aus zwei Schauspielern - Sebastian Gerasch als Merkur und Figurenspieler Stefan Wenzel als Silvano - und sechs Sängerinnen und Sängern wird munter begleitet vom neunköpfigen Instrumentalensemble, das in der Premiere nur gelegentlich mal einen Einsatz verhudelte. Kai Preußker als Jupiter erfreut durch seinen gut geführten, wohlklingenden Bariton, Indra Podewils als seine Gattin durch ihren ausgewogenen, weittragenden Mezzo. Die Soprane Melanie Schlerf als Diana und Hyun Ah Kim als Pan berühren durch lyrischen Schmelz, während Yuna-Maria Schmidt als Calisto schier Unglaubliches leistet. Ob gefesselt, ob auf einem Eimer kniend oder einem Tisch liegend mit nassen Papierfetzen im Gesicht: Stets bleibt sie intonationssicher und ausdrucksstark. Und die Entdeckung des Abends? Zweifellos der junge Kontratenor Leandro Bermudez, der als Gast aus Basel den hübschen Hirten mit den löchrigen Socken gab: So ungekünstelt, so natürlich hört man einen Mann nur sehr selten mit Kopfstimme singen.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 9.2.2010

Mittwoch, 3. Februar 2010

Im Zauberreich der Klänge

Das London Symphony Orchestra unter John Eliot Gardiner zu Gast in der Meisterkonzert-Reihe im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle

Stuttgart - Nach Berichten von Zeitgenossen muss zum Teil ziemlich schräg geklungen haben, was am 22. Dezember 1808 in Wien bei der Uraufführung von Beethovens 6. Sinfonie, der Pastoralen, unter Leitung des Komponisten im Theater an der Wien erstmals zu hören war, weil zu wenige Proben hatten stattfinden können und weil die Musizierenden von diesem so weit in die Zukunft weisenden Werk schlichtweg überfordert waren. Von der Unzulänglichkeit dieser Aufführung kann man sich in unseren verwöhnten Zeiten hochklassiger Orchesterklangkultur kaum mehr eine Vorstellung machen, und den Ansprüchen des ehrgeizigen Töneschmieds dürfte das Ergebnis weiland auch nicht annähernd genügt haben. Wie wäre es Beethoven jetzt in der Stuttgarter Liederhalle wohl ergangen? Er wäre vielleicht in Ohnmacht gefallen, wie es damals in Konzerten üblich war: So plastisch baute sich das Gewitter auf, so wuchtig und grell ließ das London Symphony Orchestra unter Leitung von John Eliot Gardiner die Blitze durch den Beet­hovensaal zucken und so unheimlich wuchs das Donnergrollen an.

Aber neben diesem Naturspektakel, das das britische Instrumentalkollektiv genauso anschaulich wie das zierliche Zirpen der Zikaden am Bache oder das fröhliche Zwitschern der Vögelein zu Gehör brachte, kamen auch die musikalisch abstrakteren Gedanken zu ihrem Recht - ebenso genau, klar und farbig gezeichnet. Im ersten Satz mit seinem „Erwachen heiterer Gefühle“ erweckten die spielfreudigen, perfekt miteinander kommunizierenden Londoner gar einen ganzen Frühling: Bei jedem Harmoniewechsel öffnete sich eine neue exotische Blüte, rissen energetische Schübe und kräftige Farben in den Bann. Keine Frage: Das London Symphony Orchestra und John Eliot Gardiner, der sein Dirigat sichtbar auskostete, verstanden sich glänzend. Und im gestochen scharfen, fein ausgeloteten Klangbild konnten sich die Holzbläser ganz prächtig in Szene setzen.

Bevor man mit dieser prallen, bilderreichen Pastoralen den voll besetzten Beethovensaal euphorisierte, waren ganz andere Gesichter Beet­hovens zutagegetreten. Nach der Egmont-Ouvertüre, in der die Briten ihr dialektisches, klassisch-dramatisches Potential unter Beweis gestellt hatten, betonte die Pia­nistin Maria João Pires in Beethovens zweitem Klavierkonzert die weiche, introvertierte Seite des Komponisten. Die von einem Infekt geschwächte, noch zierlicher wirkende Portugiesin tauchte das mozarteske, lyrische Werk in pastellene Farben, formte das Akkordwerk leicht und agil und ließ die Läufe nur so perlen. Das Orchester reagierte im Dialog sensibel auf die Artikulation der Lyrikerin und setzte eher weiche als harte Kontraste. Pires‘ inniger, warmer Ton brachte den kühlen Steinway im Adagio zu weltentrücktem Singen, entführte in ein Zauberreich der Töne, in dem am Ende, vor dem Übergang ins Finale, die Zeit still zu stehen schien: ein sehr berührender Augenblick.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 5.2.2010

Sonntag, 31. Januar 2010

Überwältigend

Marc Piollet dirigiert das Stuttgarter Staatsorchester in der Liederhalle

piollet
Marc Piollet

Stuttgart - Spätestens beim majestätischen „Alphornruf“ im Finale dürfte jeder fortschrittliche Brahmsianer an diesem Sonntagmorgen im siebten Himmel geschwebt haben: Eine derart überwältigende Interpretation von Johannes Brahms‘ erster Sinfonie, wie sie das Stuttgarter Staatsorchester unter der Leitung des französischen Dirigenten Marc Piollet, derzeit Generalmusikdirektor am Staatstheater Wiesbaden, in die Welt entließ, werden die meisten Ohren im sehr gut besuchten Beethovensaal schon lange nicht mehr vernommen haben. Überwältigend war Piollets Dirigat, weil es einerseits satte Klanglichkeit, packende Dramatik und fließendes Melos zu ihrem Recht kommen ließ, andererseits aber das Staatsorchester zu einem derart transparenten Klangbild animierte, dass so manches hörbar wurde, was oft genug unter süßem Streicherschmelz verschwindet: zierliche Gegenstimmen und harmonische Reibungen genauso wie überraschende Stimmungswechsel. Piollets spezifisch französisches Gespür für Klangfarben und Farbwerte und sein extrem sensibler Sinn für jene feinen Strukturen, die sich bei Brahms als entwickelnde Variationen emsig unter der Oberfläche abarbeiten, zogen vom ersten bis zum letzten Takt in den Bann. Eine Interpretation, die auch ganz deutlich machte, warum Arnold Schönberg Brahms einst als „Fortschrittlichen“ bezeichnete. Das Staatsorchester war in diesen 45 Minuten in sinfonischer Höchstform, auch was die vielen solistischen Einsätze von Bläsern und Streichern angeht.

Zuvor hatten Piollet und das Orchester in Olli Mustonen einen kongenialen Dritten im Bunde gefunden: Der finnische Klavier-Feuerkopf, der auch als Dirigent und Komponist erfolgreich ist, brillierte in Béla Bartóks letztem Werk, dem dritten Klavierkonzert, nicht nur mit technischer Perfektion und einer ungeheueren rhythmisch-metrischen Beweglichkeit, sondern vor allem auch mit seinem poetischen, sprechenden Ton: quecksilbrig-nervös, scharf, spitz, grell im ersten Satz, nach innen gekehrt, dennoch nie allzu verträumt im Adagio religioso und stets aufmüpfig im Finale. Mustonens besondere Spezialität: Charaktere, Stimmungen, Gesten blitzschnell das Gesicht wechseln zu lassen - auch innerhalb einer einzigen Phrase. Mit exzentrischer, zackiger Gestik die Klaviatur bearbeitend, sich des öfteren mit dem Jackettärmel die Stirn wischend, wirkte Mustonen stets hoch angespannt. Das Staatorchester reagierte gelassen und war dem Romantiker Mustonen ein dunkler Wald, in dem seine Farben, Gedanken und Ideen stets ihren Widerhall fanden.

Dass sich Witold Lutoslawskis ­Trauermusik („Musique funèbre“), die am Programmbeginn stand, mit ihrer ganzen kahlen, fahlen, entbeinten Klanglichkeit in einigen Momenten des Beginns der zum Schluss gespielten Brahms-Sinfonie widerzuspiegeln schien, ist eines der musikalischen Mysterien dieses Morgens, die Marc Piollet zu verdanken sind.

Eine weitere Aufführung beginnt heute um 19.30 Uhr im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 1.2.2010

EDUARDAS UNIVERSUM

weblog für ernste kultur von verena großkreutz

Wer ist Eduarda?

Eduarda bin natürlich ich! Diesen Spitznamen verpasste mir ein Freund in meiner Anfangszeit als Musikkritikerin in Erinnerung an den berühmten Eduard Hanslick.

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